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Kolumne: Die Willkür der Krankenversicherer

Kolumne: Die Willkür der Krankenversicherer

09.12.2006 |

von Hans Heinrich Rhyner, Naturarzt für Ayurveda, MD & PhD (Alternative Medicines)

Zu Dritt hatten sie sich angemeldet, die Dame und beiden Herren der Krankenversicherung. Sie wollten meine Praxis besichtigen, sehen warum ich beim Patienten Roland M. (Name von mir geändert) so viele Behandlungen ausgeführt und ebenso viele Rechnungen ausgestellt habe.

Roland M. hätte eigentlich mit seinen Pferden zur Olympiade reisen sollen. Dann kam der niederschmetternde Befund des Facharztes: „Sie können mit dieser rheumatischen Erkrankung nie wieder reiten!“ Für einen Fünfundzwanzigjährigen, dem Pferde alles bedeuten, war dies die schlimmste Nachricht seines Lebens. Antriebslosigkeit und starke Stimmungsschwankungen gehörten neben immer präsenten, kaum zu ertragenden Schmerzen und Unbeweglichkeit fortan zum Alltag des jungen Mannes.

Über ein Yogabuch von mir fand er vor 4 Jahren in meine Praxis. Eine Kombination von täglichen Yogaübungen, ayurvedischen Massagen mit ausgewählten Spezialölen und pflanzlichen Entzündungshemmern wie Weihrauch und Tinospora cordifolia führten nach ein paar Monaten zu einer deutlichen Reduktion seiner Beschwerden. Nach Intensivierung der Behandlungen mit zwei Pancakarma-Kuren war Roland so weit, dass er sich 9 Jahre nach der Diagnose nicht nur wieder aufs Pferd setzen konnte, sondern gleich ein halbes Dutzend Wettkämpfe mit Auszeichnungen ritt. Der Absturz folgte auf dem Fuß, als er sein striktes Regime vernachlässigte und sich mental und körperlich völlig verausgabte.

Nach ihrem Besuch oder vielleicht besser gesagt nach dem Verhör in meiner Praxis, erklärten sich die Versicherungsvertreter nach monatelangem hin und her endlich bereit, die letzte Kurbehandlung, für die eine Kostengutsprache im vorhinein eingeholt worden war und eine Überweisung vom behandelnden Rheumatologen vorlag, zu begleichen.

Ein paar Wochen später folgte die Retourkutsche der Versicherung in Form eines Schreibens an mich: Ayurveda Behandlungen werden ab dem 1. Januar 2007 im Rahmen der Zusatzversicherung für Komplementärmedizin nicht mehr übernommen – ohne Begründung und ohne Erklärung. Auf die telefonische Nachfrage von Roland M. wurde ihm erklärt, dass sie diese Änderung auch per sofort hätten vornehmen können. Roland M. kann die Versicherung nicht wechseln, weil jeder neue Krankenversicherer das Recht hätte, bestehende Diagnosen von künftigen Vergütungen auszuschließen. Die Behandlungen hätte er sich aus eigenen Mitteln schlichtweg nicht leisten können. Ohne meine Intervention würde er sehr wahrscheinlich seit 4 Jahren eine Invalidenrente bezahlt bekommen. Die käme aus einem anderen Topf und so hätte sich der Krankenversicherer schadlos halten können. - „Macht die Patienten zu Krüppeln oder zu medikamentenabhängigen Zombies“, scheint die Devise solcher Gesellschaftspolitik zu sein

Gesundheitsbewusste Konsumenten leisten sich eine Zusatzversicherung, um sich auch komplementärmedizinisch behandeln lassen zu können. Um sich für solche Versicherungsleistungen zu qualifizieren, haben einige Krankenversicherer eigene Zulassungsverfahren entwickelt. Die Mehrheit der Schweizer Krankenkassen schlossen sich zusammen und gründeten ein so genanntes Qualitätslabel, das – wie könnte es anders sein – für die daran teilnehmenden Versicherer nicht bindend ist. Nur wenige andere übernahmen die Kriterien der Berufsverbände oder akzeptierten die kantonal zugelassenen Heilpraktiker. Die Auflagen der Krankenkassen sowie des Qualitätslabels „EMR“ wurden in den letzten Jahren immer höher geschraubt. Die Aufschulungen, jährlichen Weiterbildungen und Gebühren wurden immer mehr und für viele Naturheilpraktiker und Therapeuten schlichtweg unerschwinglich. Selbst wenn man wie ich alle Kriterien erfüllt, steht man am nächsten Tag ohne Zulassung da. Wir werden vertraglich zu unzähligen Bedingungen verpflichtet und fliegen gleich raus, wenn wir eine dieser Pflichten nicht erfüllen. Die Patienten zahlen gewissenhaft ihre monatlichen Beiträge und verlieren ihre Ansprüche, sollten sie dies einmal unterlassen. Nur die Krankenkassen tun, wie es ihnen beliebt. Da frage mich doch: wie lange lassen sich Ärzte, Heilpraktiker, Therapeuten und Patienten von diesen Krankenkassen dermaßen verarschen? Die Antwort liegt auf der Hand: solange, bis sich alle Betroffenen dieser Willkür zusammentun und gemeinsam gegen diese Art von Gesundheitspolitik vorgehen. Die Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“ ist eine Möglichkeit, ein funktionierender Wettbewerb unter den Kassen eine weitere. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden geht derzeit ein neues Gesundheitsgesetz in die Vernehmlassung. Auch da ist politisches Handeln angezeigt. Wer zahlt bestimmt und nicht wer kassiert bestimmt, lautet ja eigentlich die gerechte Devise in der freien Wirtschaft.

Dafür, dass ich Roland auch ohne Kostengutsprache weiter behandeln werde, will ich wenigsten etwas Anerkennung oder die Möglichkeit, meine Sozialarbeit von der Einkommensteuer abziehen zu können.

 

Hans Heinrich Rhyner
Kant. Approbierter Heilpraktiker, MD & PhD (alternative medicines), Naturarzt für Ayurveda
Vizepräsident Verband Schweizer Ayurveda-Mediziner und -Therapeuten VSAMT
Bahnhofstrasse 9
CH-9100 Herisau

Hans Heinrich Rhyner ist Naturarzt für Ayurveda und Doktor der Naturheilkunde, MD, PhD (AM).
Er ist gebürtiger Schweizer und gilt als führender, international anerkannter Ayurveda Experte und Pionier von Ayurveda in Europa. Er lebte über 20 Jahre in Indien und praktizierte dort in seiner eigenen Klinik in Bangalore. Seit 1999 wieder in Europa zurück, steht er in seiner eigenen Fachpraxis im Appenzellerland / Herisau, sowie im eigenen ambulanten Wiener Fachinstitut und im Fachinstitut Kurhotel Bad Pirawarth seinen Kunden und Patienten zur Verfügung. Seit 2003 führt Hans Rhyner gemeinsam mit seiner Frau Irene das erste biozertifizierte Ayurveda Gesundheitszentrum in Europa. Weitere Informationen finden Sie hier: www.ayurveda-rhyner.com

 

 

Dr. Rhyner schreibt für das Ayurveda-Portal die Kolumne.
Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

Bisherige Kolumnen:

1-2005 Kolumne zur Flutkatastrophe
2-2005 Kolumne zur Frühjahrsmüdigkeit
3-2005 Kolumne zu Schlankheitswahn, Gesundheit und Genuss
4-2005 Kolumne zum Impfen
5-2005 Kolumne zum Thema *wissenschaftliche Studien*
1-2006 Kolumne Medikamente für Kinder und das Thema Kampfhunde
2-2006 Kolumne zu den Themen *Handeln wider die Natur* und *Profitgier*
3-2006 Kolumne zur Selbstregulierung im Ayurveda


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