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Kolumne: Im Namen der Wissenschaft

Kolumne: Im Namen der Wissenschaft

27.10.2005 | von Hans Heinrich Rhyner, Naturarzt für Ayurveda, MD & PhD (Alternative Medicines)

Alle wettern gegen Fundamentalismus. Zu Recht, stellt er doch eine Bedrohung für die frei denkende Gesellschaft dar. Nicht minder bedrohlich sind einige Vertreter der „Heiligen“ Naturwissenschaft, wie die Autoren des Buches „Die Andere Medizin“ von Stiftung Warentest. Sie bezeichnen jedes Abweichen von ihrer orthodoxen Norm als Rückfall in die Barbarei. Das ist gänzlich unwissenschaftlich, behindert solches Denken doch jeglichen Fortschritt und das ist, was die Wissenschaft bis anhin immer weiter gebracht hat.

Jahrzehnte wollte die moderne Medizin nichts von alternativen Heilverfahren wissen. Sie galten schlichtweg als unakzeptabel. Jetzt wo zwei Drittel der Bundesbürger der alternativen Medizin vertrauen, kommt die Inquisition: „Ihr habt keine wissenschaftlichen Studien und die bestehenden belegen die Wirksamkeit nicht!“ schreien sie den Pressevertretern zu. - Stimmt, woher sollen wir denn diese Studien haben, sie einfach aus dem Ärmel zaubern?

Da macht es sich jemand aber ganz leicht. Also liebe Wissenschaftler, macht eure Hausaufgaben. Kommt in unsere Praxen und Kliniken, studiert unsere Patientendokumentationen, interviewt die Patienten, nehmt unsere Heilmittel in eure teuren Labors und untersucht sie und geht bitte wissenschaftlich, das heißt objektiv vor. Vergesst dabei aber auch nicht zu überprüfen, wie wirksam eure Kassenärzte im Licht der „erkenntnisbasierten Medizin“ behandeln, dem goldenen Standard für jeden klinischen Entscheidungsprozess. Dabei würde sicher herauskommen, dass zwei Drittel der heutigen medizinischen Behandlungen weder sinnvoll noch wirksam sind. So einfach ist das!

Kommen wir zurück zur EBM (erkenntnisbasierten Medizin). Sie ist laut dem deutschen Cochran Zentrum nicht auf randomisierte, kontrollierte Studien und Metaanalysen begrenzt. Sie beinhaltet die Suche nach der jeweils besten wissenschaftlichen Evidenz zur Beantwortung der klinischen Fragestellung: Um etwas über die Genauigkeit eines diagnostischen Verfahrens zu erfahren, benötigt man gut durchgeführte Querschnittstudien von Patienten, bei denen die gesuchte Krankheit klinisch vermutet wird – keine kontrollierten Studien.

Oder die AED-Bayern-Online (Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement INM, Klinikum der Universität München) meint auf ihrer Seite, dass nicht in allen Bereichen der Medizin gesicherte wissenschaftliche Aussagen und Erkenntnisse existieren. Deshalb nutzt sie verschiedene Symbole zu ihren medizinischen Artikeln, die auf den „Level of Evidence“ nach der EBM Einteilung hinweisen.

Nun ist es natürlich interessant zu wissen, dass die EBM auch den Erkenntnisgrad IIIa und IIIb sowie IV geschaffen hat, der nicht kontrollierte Studien als wissenschaftlich zulässt. Der Grad V lässt sogar Aussagen von Experten als Beweise zu. In anderen Worten bedeutet das nichts anderes, als dass oft auch die wissenschaftliche Medizin viele der Kriterien, mittels deren die 58 Naturheilverfahren bewertet wurden, nicht erfüllen kann.

Da frag ich mich natürlich berechtigterweise, was das ganze Theater soll? Die Antwort werden die Menschen liefern, die Unterstützung für ihre Beschwerden suchen und von denen diese selbsternannten Wissenschaftler denken, sie immer noch für dumm verkaufen zu können.

Sicher fehlen uns in Ayurveda noch viele Forschungsarbeiten auf der Basis der EBM. Uns daraus aber einen Strick zu drehen, ist unfair, denn EBM ist noch lange nicht in jeder Arztpraxis in Deutschland eingeführt.

Es liegt im öffentlichen Interesse, dass die Naturmedizin solche Studien so schnell wie möglich durchführt. Dazu wurde im Rahmen des Ayurveda Symposiums 2005 in Birstein (Hessen) ein indo-europäisches Forschungsprojekt ins Leben gerufen. In ein paar Jahren wird genügend EBM Daten verfügbar sein, damit Ayurveda im Klub der wissenschaftlichen Medizin eine größere Rolle spielen kann.

Die klinischen Behandlungsmethoden, die schon seit ein paar Tausend Jahren bestehen, werden dadurch nicht verbessert. Das Buch „Die andere Medizin“ vermittelt dem Leser aber den Eindruck, dass es von vorn herein nicht möglich ist, dass alternative Heilverfahren jemals wissenschaftlich sein können. Das liegt natürlich in der Absicht der Verfasser. „Im Namen der Wissenschaft“ soll ja alle anderen Draußen halten.

 


Hans Heinrich Rhyner ist Naturarzt für Ayurveda und Doktor der Naturheilkunde, MD, PhD (AM).
Er ist gebürtiger Schweizer und gilt als führender, international anerkannter Ayurveda Experte und Pionier von Ayurveda in Europa. Er lebte über 20 Jahre in Indien und praktizierte dort in seiner eigenen Klinik in Bangalore. Seit 1999 wieder in Europa zurück, steht er in seiner eigenen Praxis im Appenzellerland / Herisau, sowie in Wien im Fachinstitut Anemonya und im allvedya Gesundheitszentrum seinen Kunden und Patienten zur Verfügung.

 

Dr. Rhyner schreibt für das Ayurveda-Portal die Kolumne.
Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

 

Bisherige Kolumnen:

1-2005 Kolumne zur Flutkatastrophe
2-2005 Kolumne zur Frühjahrsmüdigkeit
3-2005 Kolumne zu Schlankheitswahn, Gesundheit und Genuss
4-2005 Kolumne zum Impfen


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