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Ayurvedische Psychotherapie und die Trigunas Sattva, Rajas und Tamas

Ayurvedische Psychotherapie und die Trigunas Sattva, Rajas und Tamas

02.02.2009 | von Nathalie Neuhäusser Während im Ayurveda in der Regel das größte Gewicht auf die drei Bioenergien (Doshas) Vata, Pitta und Kapha gelegt wird, sind für die Erforschung, Diagnose und Heilung des Geistes die Trigunas Sattva, Rajas und Tamas von größerer Bedeutung. Die Trigunas (tri= drei, guna= Eigenschaft) bezeichnen die drei geistigen Qualitäten, die im Menschen, so wie im ganzen Universum wirksam sind. Ayurveda und Yoga gehen davon aus, dass alles Sichtbare und Materielle seinen Ursprung im Geistigen hat. Gemäß der ayurvedischen Samkhya-Philosophie liegen diese drei Urkräfte allen Evolutionsvorgängen zugrunde. Sie bilden und formen die fünf Elemente, aber auch unseren Verstand, unser Ich-Bewusstsein und unseren Geist.

 

Jede Form von Materie sowie die geistig-mentale Konstitution des Menschen haben ihren Ursprung in den Qualitäten Sattva, Rajas und Tamas. Die Trigunas sind Urprinzipien aus denen heraus sich der Schöpfungsakt vollzieht. Während unsere körperliche Konstitution unveränderlich ist und uns ein Leben lang zu eigen ist, können wir unsere geistige Konstitution bzw. die vorherrschende geistige Qualität beeinflussen und verändern.

Gut ist die Beharrlichkeit, mit der ein Mensch
seine Herzschläge, seinen Lebensatem,
die Bewegung seiner Sinne beherrscht,
gefestigt in unerschütterlichem Glauben und Vertrauen:
Das ist Sattva, Prinz, beständig und wahrhaft!

Befleckt ist die Beharrlichkeit, wodurch ein Mensch
an seiner Pflicht, Absicht, Anstrengung, an seinem Ziel festhält
um seines Lebens und um der Liebe der Götter willen:
Arjuna, das ist Rajas, von Leidenschaft geprägt!

Traurig ist die Beharrlichkeit, womit der Narr
haftet an seiner Trägheit, seiner Sorge und seinen Ängsten,
an seiner Torheit und Verzweiflung.
Dies, Prishta, Sohn, entsteht aus Tamas, dunkel und elend!

(Sir Edwin Arnold: The Song Celestial or Bhagavad Gita, 1989, S.153)

 

Die Qualität Tamas

Tamas steht für Dunkelheit, Unbewusstheit und Trägheit. Dabei symbolisiert Tamas die Materie in ihrer grobstofflichsten Form. Tamas wird im Ayurveda als jene Qualität begriffen, die den Geist verwirrt, ihn an irdische Dinge anhaften läßt und ihn in einen Zustand der Unwissenheit und Unbewusstheit versetzt. Aus diesem Mangel an Erkenntnisfähigkeit und spirituellem Bewusstsein entsteht alles Leid des Menschen.
Auf psychologischer Ebene bringt uns Tamas dazu, Traumata und ungeliebte Zustände zu verdrängen. Hier schlummern sie unter der Oberfläche und vergiften den Menschen langsam körperlich, wie seelisch.

Tamas ist jene Energie, die der Wahrhaftigkeit und Erkenntnis entgegen steht, sie führt zu Selbstlügen und einer verzerrten oder beschränkten Sicht der Wirklichkeit. Tamas verdunkelt den Geist und versetzt ihn in einen Zustand der Trägheit und Schwere, aus dem heraus es schwer fällt, Veränderungen einzuleiten.
Wenn in einem Menschen Tamas überwiegt, so belügt er sich unter Umständen über längere Zeit hinweg selbst und lebt in einer selbsterschaffenen Scheinwelt, weil ihm diese als bequem erscheint. Wäre er dazu bereit, die wahre Beschaffenheit der Wirklichkeit zu betrachten, würde dies unumgänglich die Notwendigkeit einer inneren und äußeren Veränderung offen legen. Daher halten Menschen gerne an alten Situationen, Mustern oder Gedankengewohnheiten fest. Auch wenn ein Mensch mit äußerster Brutalität und Grausamkeit handelt - sich selbst oder anderen gegenüber - wird sein Geist von Tamas beherrscht.

Die Schulmedizin therapiert psychische Krankheiten oft mit tamasischen Substanzen: Beruhigungsmittel sollen den Geist einschläfern und ruhigstellen. Ayurveda hingegen behandelt seelische Störungen damit, den Geist in einen Zustand von Sattva zurück zu führen, d.h., ihn von Schädlichem zu reinigen und zu mehr Bewusstsein zu erwecken.

Jeder Mensch kennt hin und wieder Momente, in denen der Geist von Tamas beherrscht wird. Natürlicherweise geschieht dies am frühen Morgen, wenn wir das Gefühl haben „nicht richtig in die Gänge zu kommen“, oder „noch nicht klar denken zu können“. Immer wenn wir uns schlecht konzentrieren können oder einen Mangel an Kreativität und geistiger Klarheit empfinden, befindet sich unser Geist kurzfristig in einem Zustand von Tamas.

 

Die Qualität Rajas

Rajas steht für Aktivität, Bewegung und Leidenschaft. Rajas ist jene Qualität, welche der Materie ihre Fähigkeit zur Wandlung und Veränderung verleiht und hat daher bereits feinstofflichere Eigenschaften als Tamas. Während Rajas jedoch bewegt, reißt es oft Dinge ein und zerstört sie. Solange Sattva nicht die vorherrschende Qualität ist, sind die Bewegungen von Rajas unkontrolliert, ungeordnet und unzurechnungsfähig. In der Natur macht sich diese überschäumende Energie durch Naturkatastrophen bemerkbar, welche nichts mehr mit den harmonischen Bewegungen eines gesunden Zustandes zu tun haben. Die Elemente und Urkräfte laufen hier aus dem Ruder. Anstatt in Harmonie und Ordnung zu bewegen und zu verändern, reißt Rajas in seiner leidenschaftlichen Aktivität alles mit sich, was sich ihm in den Weg stellt. Die Bewegung von Rajas ist nach außen gerichtet, und führt uns schließlich weg von unserem Wesenskern und von der Möglichkeit eines wirklichen inneren Friedens.

Unsere Gesellschaft ist stark von der unkontrollierten (Über-) Aktivität von Rajas, und von der Unbewusstheit von Tamas geprägt. Ein Mensch in einem Zustand von Rajas hat jegliches Gefühl für das rechte Maß verloren. Der Stress, die andauernde Hyperaktivität unserer westlichen Gesellschaft, sowie Leistungsdenken, Konkurrenz und Ruhelosigkeit sind Folgen von Rajas. Letztlich erzeugt Rajas unsere Emotionen und Leidenschaften. Wer sich Dinge, Menschen oder Lebensumstände leidenschaftlich wünscht, dem werden diese Wünsche schnell zur Falle, da von starker Emotionalität geprägte (unerfüllte) Wünsche immer zu Leiden führen. Eifersucht, Neid, Wut, Hass, Eitelkeit, sexuelle und emotionale Passionen, Ängste und alle anderen intensiven negativen Gefühle und Eigenschaften finden sich in einem Menschen, der sich hauptsächlich von Rajas leiten läßt

Rajas läßt uns permanent suchen, meist jedoch an der falschen Stelle. Wir suchen im Außen nach Glück und innerem Frieden. Manchmal jagen wir beinahe unermüdlich, in permanenter geistiger oder körperlicher Rastlosigkeit der Erfüllung unseren Wünsche nach.
Die Ziele dieser Leidenschaft sind unzählig. Das Ego heftet sich an eine bestimmte Idee oder Obsession und läßt uns glauben, dass wir nur dann glücklich sein können, wenn wir jenes Objekt bekommen haben oder wenn sich unser Umfeld entsprechen ändert. Rajas läßt uns diese Ideen mit einer oft ungebremsten und überwältigenden Passion verfolgen. Der Wunsch steigert sich zur Leidenschaft, diese zur Obsession. Die Folge davon ist, dass wir das Glück, das wir täglich in kleinen Dingen und in uns selbst finden könnten nicht mehr wahrnehmen können und sich der von Rajas dominierte Mensch oft in einem Zustand des qualvollsten inneren Leids befindet.

Dennoch kann Rajas auch positive Aspekte haben, solange unser Geist in Sattva verankert ist und wir die Bewegungen unseres Geistes beherrschen, anstatt ihnen ausgeliefert zu sein.
Rajas ist notwendig, um eine starke Tamas-Kraft aufzubrechen. Heilung findet immer zunächst dadurch statt, dass Tamas in Rajas und Rajas schließlich in Sattva umgewandelt wird. Wo Erlebnisse, Traumata oder innere Konflikte verdrängt oder weggeschoben werden, muss die transformatorische Kraft von Rajas diesen grobstofflichen und starren Panzer aufbrechen und Veränderungen einleiten. Rajas verleiht uns die Fähigkeit und die innere Glut (Tapas), die uns dazu antreiben, uns zu verändern. Ohne Rajas findet keine innere Transformation statt.

Rajas versetzt uns auch in einen Zustand der positiven Aktivität, Inspiration und Kreativität. Jede Aktion und Interaktion mit anderen ist von Rajas geprägt. Allerdings besteht immer die Gefahr, dass unsere geistigen Kräfte durch ein Zuviel an Rajas außer Kontrolle geraten.

 

Die Qualität Sattva

Sattva steht für Bewusstheit, Reinheit und Licht. Sattva ist jene Qualität, welche Harmonie, Gesundheit, Gleichgewicht, Gerechtigkeit und Zufriedenheit herbeiführt. Die Bewegung von Sattva ist nach Innen gerichtet und es ist leicht und klar. Sattva läßt uns unser inneres Selbst erkennen und schafft die Brücke zum Göttlichen.

Ein Mensch, in dem die Qualität Sattva überwiegt, lebt nach spirituellen oder moralisch-ethischen Regeln und bemüht sich unaufhörlich um deren Einhaltung. Sattva steht für Intelligenz und Tugendhaftigkeit. Wenn wir uns von Sattva leiten lassen, so hören wir weniger auf die Bedürfnisse unseres Egos, sondern richten unser Denken und Handeln nach höheren Werten und Zielen aus. Da Sattva immer Bewusstsein und Bewusstheit bringt, geschieht das Einhalten von spirituellen Regeln und Praktiken aus einem tiefen Inneren Verständnis heraus. Ein sattvischer Mensch hat verstanden, dass wir die Welt stets durch den Filter unseres Bewusstseins und unserer Bewertungen wahrnehmen, und dass dauerhaftes Glück nicht von äußeren Dingen abhängt. Sattva erzeugt automatisch das Bedürfnis nach Reinheit und Sauberkeit, innen wie außen.

Sattva ist jene Qualität, die uns Frieden, Harmonie, Glauben und Vertrauen suchen läßt. Jede wirklich authentische spirituelle Praxis und Ausrichtung bewirkt eine innere Transformation des Geistes. Je mehr man sich um sattvische Eigenschaften bemüht, desto mehr werden sich diese auch im Innern manifestieren. Auf diese Weise werden negative und destruktive Gedankenmuster in positive, heilende transformiert.

Ein sattvischer Mensch geht einer regelmäßigen, in der Regel täglichen Gebets- oder Meditationspraxis nach. Er sucht seinesgleichen und umgibt sich am liebsten mit Menschen, die ebenso Harmonie und Frieden anstreben. Das höchste Ziel eines von Sattva geprägten Menschen besteht darin, die eigenen Gedanken und Gefühle zu meistern. Dabei steht das spirituelle Ziel nach der eigenen inneren Entwicklung und nach Frieden vor allen anderen Wünschen.
Die Gedankenbewegungen (vrittis) eines Geistes, der in Sattva ruht, sind ruhig, unaufdringlich und bewegen sich nur langsam und harmonisch. Der Geist ist wach, klar und inspiriert. Sattva fördert die höchste Intuition im Menschen.
Die Rishis, welche vor vielen Jahrtausenden die Wissenschaften von Ayurveda und Yoga erkannten, befanden sich in einem Zustand von Sattva. Nur ein klarer, reiner Geist ist dazu in der Lage, klare und wahre Botschaften und Offenbarungen zu empfangen.
Sattva verleiht uns auch die Fähigkeit, mit schlafwandlerischer Sicherheit, die richtigen Dinge zur rechten Zeit zu tun. Sattva ist die subtilste und feinstofflichste der drei Energien. Purusha, der Schöpfer, erkennt sich selbst nur in Sattva, da es ihm am Ähnlichsten ist. Je mehr Sattva unseren Geist durchdringt und unser Leben dirigiert, desto mehr wird sich unser ganzes Handeln und Sein in Harmonie mit dem göttlichen Willen und der göttlichen Ordnung befinden. Die Folgen sind geistige wie körperliche Gesundheit und Harmonie.

Die Charaka Samhita beschreibt Sattva als Bindeglied zwischen dem physischen, grobstofflichen Körper, und Purusha, dem göttlichen Selbst. Aufgrund dieser Verbindung reguliert und kontrolliert Sattva den ganzen Körper. Menschen mit starker Psyche (Sattvasara) können daher selbst wenn sie einen schwachen Körper haben, ernste Krankheiten abwehren, oder, wenn sie dennoch krank werden, ihre Erkrankung gut ertragen.

 

Ayurvedische Psychotherapie

Eine Psychotherapie im Sinne des Ayurveda besteht aus zwei Schritten:

1. Schritt: Tamas aufbrechen:
Wenn Tamas im Geist des Patienten vorherrschend ist, besteht die Heilung des Geistes zunächst im Aufbrechen der tamasischen Trägheit durch rajasische Mittel. Dies ist auch dann der Fall, wenn im Patienten verdrängte Aspekte die Psyche beschweren. Alles, was verdrängt wurde, muss zunächst an die Oberfläche des Bewusstseins geholt werden. Dies kann zunächst schmerzhaft sein, da der Betroffene alte Wunden aufdeckt und Traumata eventuell erneut durchlebt. Ohne diesen Prozess ist eine wirkliche innere Heilung jedoch nicht möglich.
Das Bemühen um positive, sattvische Gedankenmuster hilft nur dann, wenn ein Mensch keine verdrängten Aspekte und tiefe Wunden (Tamas) in seiner Psyche verborgen hält. Sitzen seelische Verletzungen tief, müssen diese zuerst vollständig aufgebrochen, ins Bewusstsein zurück geholt und aufgelöst werden, bevor eine Umwandlung negativer Gedankenmuster greifen kann. Ansonsten wäre der Versuch eines Patienten, positiv zu denken, eher eine erneute Selbsttäuschung und würde ihn später noch verzweifelter zurück lassen.
Für das Auflösen traumatischer Erfahrungen und deren Herauslösung aus allen Geweben, Zellen und Energiezentren kennt der Ayurveda vielfältige Verfahren. Zum einen arbeiten Panchakarma-Behandlungen darauf hin, gemeinsam mit der Entschlackung und Reinigung der Körpergewebe (Dhatus) auch seelische Erschütterungen und gedankliches Ama aus Körper und Geist heraus zu lösen.
Subtilere Formen der Reinigung bestehen in spirituellen Verfahren, wie Handauflegen, Heilritualen, Mantras und anderen energetischen oder yogischen Therapien.

2. Schritt: Sattva stärken
Wenn verdrängte Aspekte im Innern eines Menschen aufgebrochen, an die Oberfläche gebracht und aufgelöst worden sind, kann zum zweiten Schritt der ayurvedischen Psychotherapie übergegangen werden: Der Stärkung von sattvischen Qualitäten. Diese Form der Therapie oder geistigen Schulung ist auch für alle Menschen geeignet, deren Geist sich vorrangig im Stadium von Rajas befindet.
Sattvische Qualitäten werden gestärkt durch die Umwandlung von negativen Gedankenmustern in positive und durch eine bewusste, möglichst spirituelle Lebensweise:

Dazu gehört:
* Die regelmäßige, möglichst tägliche Praxis von Yoga und Meditation oder tägliche Gebete.
* Ein bewusster Umgang mit den eigenen Gedanken und Gefühlen und die Bereitschaft, die volle Verantwortung für das eigene Wohlbefinden zu übernehmen.
* Regelmäßiges Studium von spirituellen oder religiösen Schriften, die das Bewusstsein öffnen und erheben.
* Den privaten Umgang mit positiv eingestellten, spirituellen Menschen suchen.
* Eine bewusste Ernährung, die aus reichlich frischem Obst und Gemüse, Milchprodukten, Getreide und Nüssen besteht. (Fast-Food, Fleisch und Fertiggerichte meiden oder nur hin und wieder verzehren!)
* Ein Bewusstsein dafür entwickeln, was uns körperlich, geistig und sozial gut tut oder schadet und danach handeln.
* Überaktivität vermeiden, und ein Gefühl für die eigenen Grenzen entwickeln und diese Einhalten.
* Die Doshas ins Gleichgewicht bringen, durch eine passende Ernährung und Tagesroutine.
* Auch eine körperliche Reinigung durchführen, durch eine Ama reduzierende (entgiftende) Diät, Massagen, Ölziehen, etc.

 

Die Autorin:

Nathalie Neuhäusser, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Spirituelle Heilweisen, Yogalehrerin, Ayurveda-Therapeutin (Schwerpunkt: Ayurvedische Psychologie und Marmatherapie) und Fachbuchautorin der beiden Ayurveda-Bücher „Die heilende Kraft der ayurvedischen Massage“ und „Ayurvedische Massagen“ leitet die Ayurveda für Frauen – FrauenAkademie in Waiblingen bei Stuttgart.
Kontakt und Info: http://www.ayurvedafuerfrauen.de

 

Titelbild: Photo by Max on Unsplash


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