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Ayurveda: Therapie, Wellness oder Prävention?

Ayurveda: Therapie, Wellness oder Prävention?

Im Ayurveda wird großer Wert auf die Gesundheitsvorsorge und eine bewusste Lebensweise gelegt. Die ayurvedische Medizin geht davon aus, dass Erkrankungen sechs Stadien durchlaufen. Die Schulmedizin bestätigt und therapiert eine Erkrankung in der Regel erst dann, wenn nach ayurvedischer Sicht bereits das fünfte oder sechste Krankheitsstadium erreicht wurde. Ayurvedische Gesundheits- und Ernährungsberater und Ayurveda-Masseure unterstützen (im schulmedizinischen Sinn) gesunde Menschen dabei, ihr inneres Dosha-Gleichgewicht langfristig zu erhalten und feine Unausgewogenheiten im Ansatz auszugleichen. Ein Artikel von Nathalie Neuhäusser entnommen aus dem Buch "Ayurvedische Massagen".

Dieser Artikel wurde am 26.05.2019 überarbeitet von ayurveda-portal.de
 

„Die Aufgabe des Ayurveda ist es, die Krankheit der Kranken zu heilen,
die Gesunden zu schützen und das Leben zu verlängern.“

(Sushruta Samhita I,1,22-23)

Die Vorboten der Krankheiten erkennen

Im Ayurveda wird großer Wert auf die Gesundheitsvorsorge und eine bewusste Lebensweise gelegt. Die ayurvedische Medizin geht davon aus, dass Erkrankungen sechs Stadien durchlaufen. Im ersten Stadium kommt es lediglich zu leichten Irritationen der Doshas. Diese können sich beispielsweise in leichten Blähungen (Vata), Hitzegefühl (Pitta) oder Völlegefühl nach dem Essen (Kapha) äußern. Kaum jemand würde wegen leichten Störungen dieser Art einen Arzt konsultieren und die westliche Medizin würde noch keine Krankheit diagnostizieren. In den darauf folgenden Krankheitsstadien könnte eine Vata-Persönlichkeit noch Verstopfung, Ängste und Gelenksschmerzen bekommen. Pitta würde vielleicht unter starker Reizbarkeit, Hautausschlägen, Durchfällen und Entzündungen leiden. Bei einer Kapha-Natur könnte eine anfangs leichte Verschiebung des Dosha-Gleichgewichts in Trägheit, Gewichtszunahme und starke Verschleimung übergehen.

Die sechs Stadien einer Krankheit in der ayurvedischen Medizin:

  1. Akkumulation (Sancaya) = Anhäufung eines Doshas
  2. Provokation (Prakopa) = Verstärkung der Symptome
  3. Ausbreitung (Prasara) = Ausweitung über den Ort der Entstehung hinweg
  4. Lokalisation (Sthana samraya) = Festsetzung der Beschwerden in bestimmten Körperbereichen
  5. Manifestation (Vyakti) = Eine Krankheit kann nun eindeutig diagnostiziert werden (z.B. Rheuma, Diabetes).
  6. Termination (Bheda) = Eine Krankheit wird geheilt oder wird chronisch; im schlimmsten Fall führt sie zum Tod.

Das Dosha-Gleichgewicht langfristig erhalten

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Photo by Gustavo Torres on Unsplash

Die Schulmedizin bestätigt und therapiert eine Erkrankung in der Regel erst dann, wenn nach ayurvedischer Sicht bereits das fünfte oder sechste Krankheitsstadium erreicht wurde. Hier hat sich das Krankheitsbild bereits voll ausgebildet oder sogar chronifiziert. Wer mit dem ayurvedischen Wissen vertraut ist, wird bereits in den ersten Stadien eine Ausgleichung der Doshas anstreben. Dies macht deutlich, welch großes Gewicht der Ayurveda bereits auf die Prävention legt. Ayurvedische Gesundheits- und Ernährungsberater und Ayurveda-Masseure setzen mit ihrer Arbeit im Bereich der Gesundheitsvorsorge an. Sie unterstützen (im schulmedizinischen Sinn) gesunde Menschen dabei, ihr inneres Dosha-Gleichgewicht langfristig zu erhalten und feine Unausgewogenheiten im Ansatz auszugleichen.

Der Weg zur Sensibilisierung und Selbstwahrnehmung

Ayurveda-Kenner kritisieren des öfteren, dass Ayurveda im Westen gerne im Wellnessbereich angeboten wird. Sicherlich ist der Ayurveda weit mehr als Wellness, stellt er doch ein komplexes Medizinsystem dar, welches auf einem wissenschaftlichen und zugleich spirituellen Weltbild beruht. Daneben ist Ayurveda aber auch eine Lehre der gesunden Lebensweise, welche sowohl die täglichen Gepflogenheiten, als auch eine Prävention von Krankheiten umfasst. Dadurch hebt sich die ayurvedische Medizin von der des Westens ab, welche ausschließlich für den Akademiker konzipiert zu sein scheint. Ayurveda lehrt die Kunst, glücklich zu leben und spricht dabei jeden Menschen an: sein Denken und Fühlen, seine Lebens- und Ernährungsgewohnheiten und nicht zuletzt seine Sensibilität und Beobachtungsgabe. Nur wer gelernt hat, auf feine Botschaften und Bewegungen in Körper und Seele zu hören, wird in der Lage dazu sein, sein inneres Gleichgewicht langfristig zu bewahren. Ayurveda-Therapeuten sind Menschen, die diesen Weg der Sensibilisierung und Selbstwahrnehmung bereits gegangen sind, und die diese Erfahrungswerte, vor dem Hintergrund fundierter Kenntnisse, an andere Menschen weitergeben möchten. Daher sehe ich Ayurveda-Therapeuten sowie Ayurveda-Berater ohne medizinische Ausbildung als Wegbegleiter an, die den ihnen anvertrauten Patienten und Klienten vermitteln, wie sie ihre körperliche und seelische Gesundheit bewahren können.

Genaue Beobachtung statt schnelle Lösungen

Vor kurzem erschien eine Frau in meiner Praxis, bewaffnet mit einem dicken Schreibblock. Sie zeigte sich sehr aufgeregt, beinahe ängstlich und sehr unsicher in Erwartung unseres Beratungsgespräches. Sie erzählte mir, dass sie seit einiger Zeit immer wieder aggressiv wurde, dass sie außerdem an Haarausfall litt und davon ausgehe, eine Pitta-Störung zu haben. Nachdem sie mir ausführlich von ihren Problemen erzählt hatte, sah sie mich erwartungsvoll an, zückte ihren Bleistift und sagte: „So, sagen Sie mir bitte: Was muss ich tun, wie soll ich mich ernähren?“ Wir sind in unserer von Rajas und Stress geprägten Gesellschaft daran gewöhnt, schnelle Lösungen und Abkürzungen zu suchen, ohne die Wurzel eines Problems überhaupt wahrzunehmen. Ich gab jener Klientin einige Ernährungsempfehlungen, wies sie jedoch dann darauf hin, dass diese Empfehlungen nur grobe Richtlinien seien. Tatsächliche war die Ursache ihrer Unausgewogenheit nicht in der Ernährungsweise der Klienten zu finden. Ich beobachtete in ihr einen Zustand des „Neben-sich-Stehens“, wie ich es von vielen meiner Klientinnen und Patientinnen her kenne. Meine Klientin hatte jedes Gefühl für sich selbst, für ihren eigenen Körper und die Bedürfnisse ihrer Seele verloren. Sie war gefangen in einem Beruf, der ihr nicht zusagte, einem stressreichen Alltag und dem Gefühl der Sinnlosigkeit und Leere. Ich fand keinerlei Anlass dazu, eine Pitta-Störung in ihr auszugleichen. Es war vielmehr Vata, welches aus der Balance geraten war. Und aus diesem Gefühl der inneren Haltlosigkeit und fehlenden Substanz heraus, zeigten sich einige –stressbedingte Pitta-Symptome.

Rückkehr zur inneren Fülle und Ganzheit

Das wichtigste Ziel der Ayurveda-Beratung sehe ich darin, den Menschen zu helfen, diese Verbindung zu ihrem eigenen Innern, zur Quelle ihrer eigenen Intuition und Weisheit wieder zu finden. Ein in sich ruhender Mensch ist in der Lage dazu, zu spüren, wann eine Disharmonie eintritt und ein Dosha sich anhäuft. Um sich erneut mit dieser inneren Fülle verbinden zu können, ist es notwendig, erst einmal ganz still zu werden und den Stress auszublenden, dem sich viele täglich ausgesetzt fühlen. Ein optimales Mittel, dies zu erreichen, ist die ayurvedische Massage. Das warme, nährende und beruhigende Öl wirkt wie eine Brücke zwischen Körper und Bewusstsein. Der nährende Ölfilm ummantelt den Empfänger wie ein Schutzschild, welches die äußeren Einflüsse für eine Stunde abprallen lässt. Die sanfte und achtsame Berührung des Ayurveda-Masseurs wirkt wie ein Wegweiser, der den Menschen den Weg ebnet, um zu diesem Raum ihrer inneren Fülle und Ganzheit zurückzufinden.

Prävention ist mehr als Wellness

Stress gilt im Westen inzwischen als Krankheitsursache Nummer 1 und soll laut neuester Studien an 80 % aller Erkrankungen beteiligt sein. Ayurvedische Massagen, die nicht therapeutischen Zwecken dienen, reduzieren Stress und beugen damit dem Entstehen von Krankheiten vor. Streng genommen entsprechen Maßnahmen, die im Bereich der Prävention stattfinden, in viel größerem Maße dem ayurvedischen Prinzip. Bewusstheit, eine gesunde und auf den einzelnen abgestimmte Lebensweise und eine möglichst positive Ausrichtung der Gedanken bilden die eigentlichen Ziele eines Lebens im Sinne von Ayurveda. Es entspricht dem sattvischen Prinzip, sich bewusst für die Erhaltung der Gesundheit einzusetzen, auch wenn noch keine körperlichen Störungen bestehen. In diesem Licht betrachtet, verdient Ayurveda auch im Wellnessbereich Anerkennung. Voraussetzung sollte jedoch eine gründliche und kompetente Schulung des Ayurveda-Praktikers sein. Diese präventive Arbeit wird seit einiger Zeit auch mit dem Begriff Medical Wellness umschrieben, welcher zu erkennen gibt, dass auch nicht-therapeutische Ayurveda-Praktiker weit mehr anbieten können, als reine Wohlfühlangebote.

Rechtliche Grundlagen für Ihre Berufswahl

„Therapeut“ ist in Deutschland kein geschützter Begriff. Im Prinzip darf sich daher jeder „Ayurveda-Therapeut“ nennen. Was hingegen einer staatlichen Anerkennung bedarf, ist die Erlaubnis, eine Therapie an kranken Menschen durchzuführen. Dazu gehört das Diagnostizieren, Behandeln, Heilen oder Lindern von Krankheiten. Dies ist in Deutschland allein Heilpraktikern und Ärzten vorbehalten. Alle anderen Bezeichnungen (z.B. „ärztlich geprüfter Ayurveda-Therapeut“) entsprechen keiner staatlich anerkannten Qualifikation. Hierbei handelt es sich um ausgedachte Namen bestimmter Ausbildungs-Institute, wenngleich sie vermutlich auf einen gut geschulten Ayurveda-Praktiker  schließen lassen. Nur wer Arzt ist oder eine Prüfung beim Amtsarzt abgelegt und damit den Heilpraktiker-Titel erlangt hat, darf therapeutisch behandeln. Ayurveda-„Therapeuten“, welche keine Heilerlaubnis besitzen, dürfen lediglich im Bereich der Prävention arbeiten. Sie können dennoch Massagen zur Stressreduktion und eine große Bandbreite an Wellness-Angeboten anbieten.

Übrigens: Wer das Kurieren von Krankheiten als „reinen Liebesdienst“ betreibt, macht sich dadurch nicht strafbar. Das bedeutet, dass das Einsetzen von Selbsthilfemaßnahmen im Familienkreis erlaubt ist.

Staatlich anerkannte Masseure und Physiotherapeuten dürfen manuelle Therapien durchführen, solange diese ärztlich verordnet wurden. Dazu gehören neben Krankengymnastik auch Massagen und Ölanwendungen. Dies gilt insbesondere für alle Formen von Rücken- und Gelenksschmerzen und andere Beschwerden des Bewegungsapparates.

Wer eine Heilpraktikererlaubnis für den Bereich der Psychotherapie besitzt, oder promovierter Psychotherapeut ist, darf im ayurvedischen Sinne psychotherapeutisch tätig sein. Dies betrifft alle psychischen Beschwerden, wie Depressionen, neurotische und psychotische Krankheiten, Burn-Out-Syndrom, schwere Stresszustände und psychosomatische Erkrankungen. Hierfür werden im Ayurveda psychotherapeutische und spirituelle Methoden, wie Meditation, Yoga, Yoga Nidra (autogenes Training), Prana- und Energiearbeit eingesetzt, sowie Techniken, welche an die westlich-orientierten kognitiven Verfahren erinnern. Ziel dieser Therapie ist die systematische Veränderung negativer Gedankenmuster in positive. Damit setzt der Heilpraktiker oder Psychotherapeut auf der feinstofflichen, seelischen und spirituellen Ebene der Heilung an. Nach der ayurvedischen Philosophie äußert sich eine Störung zunächst im Energiekörper und hat meist psychische Konflikte oder negative Gedankenmuster zur Ursache. Auch Körperarbeit und Massagen sind psychotherapeutische Behandlungen. Massagen fallen in den Bereich der Entspannungsverfahren. Sie wirken stresslindernd und ausgleichend auf die Psyche. Tiefengewebsmassagen gelten in der Körperpsychotherapie als wirkungsvolles Mittel, dem Patienten verdrängte Traumata und Emotionen wieder bewusst zu machen. Auf diese Weise passiert der Therapeut über den Körper des Patienten das Tor zu dessen Seele.

Im Ayurveda findet jedoch keine klare Abgrenzung von körperlichen und psychischen Erkrankungen statt. Ist ein Dosha gestört, so hat dies immer sowohl körperliche als auch psychische Auswirkungen. Ein Vata-Ungleichgewicht äußert sich einerseits in Nervosität und Ängstlichkeit, andererseits jedoch auch in Verstopfung, Schmerzen oder Gelenkserkrankungen. Wenn ein Physiotherapeut die Schmerzzustände eines durch Vata entstandenen Bandscheibenvorfalls therapiert, können sich dadurch zugleich andere Vata-Symptome, wie Ängste oder Verstopfung verbessern. Umgekehrt wird ein psychotherapeutischer Heilpraktiker, der emotionale und energetische Prägungen aus dem feinstofflichen und physischen Körper des Patienten entfernt, dadurch auch körperliche Symptome positiv beeinflussen. Wenn er durch entspannende Massagen eine durch Vata entstandene Angststörung therapiert, wird sich diese Behandlung automatisch auf andere Vata-Symptome auswirken. Jede Therapie des Ayurveda hat demnach immer eine ganzheitliche Wirkung auf den Menschen, anstatt einzelne Symptome zu behandeln.


Text entnommen aus dem Buch: „Ayurvedische Massagen“, erschienen 2006 im Lumière Verlag, direkt hier bestellen.
 

Über die Autorin:

Nathalie Neuhäusser ist Heilpraktikerin (Psychotherapie), Seminarleiterin und Yogalehrerin. Seit 13 Jahren arbeitet sie mit Ayurveda-Massage, Yoga und spirituellen Heilweisen. Dabei beschäftigte sie sich insbesondere mit den ayurvedischen Marma- und Vitalpunktmassagen, die sie im Laufe der Jahre immer weiter verfeinerte und perfektionierte. Ihr zweiter Arbeitsschwerpunkt liegt in der ayurvedischen Psychotherapie (Sattvavajaya) sowie in den spirituellen Heilweisen des Ayurveda (Daivavyapashraya Chikitsa & Bhuta Vidya). Ihr Wissen gibt die Autorin in zahlreichen Büchern und DVD-Lehrgängen , sowie in Ausbildungskursen und Seminaren weiter. Daneben leitet sie seit einigen Jahren die Ayurveda für Frauen – FrauenAkademie in Waiblingen bei Stuttgart.

Kontakt: Ayurveda für Frauen, 71642 Ludwigsburg bei Stuttgart, Telefon: 07144-17322

 

Titelbild: Photo by Chris Jarvis on Unsplash

 

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