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In meinem ersten Nadi Vigyan Artikel im Ayurveda-Portal erwähnte ich die Siddhaved Linie als eine Tradition von Pulslesern, die seit 23 Generationen diese Kunst und Wissenschaft nicht nur als eine diagnostische Methode, sondern auch als ein Mittel zum ‘Eintreten ins Herz’ ihrer Patienten anwenden, um damit sowohl vertrauensvolle therapeutische Beziehungen als auch tiefgreifende Erfahrungen von Transformation zu schaffen. Abgesehen von diesen Anwendungsmöglichkeiten, die sich speziell auf den klinischen und therapeutischen Kontext mit Patienten beziehen, eröffnet die kontinuierliche Pulslesepraxis noch eine weitere Dimension erfahrbarer Transformation: die individuelle Weiterentwicklung des Pulslesers selbst. Im folgenden möchte ich einige der Punkte ansprechen, die meinen persönlichen Werdegang in den letzten zehn Jahren untrennbar mit dem Erlernen und der Ausübung von Nadi Vigyan verbunden und sowohl mein berufliches als auch mein Privatleben auf entscheidende Weise geprägt haben.
“Knowing is not doing; doing is doing” ist der erste und wahrscheinlich auch wichtigste Grundsatz des Pulslesens, den meine Frau und ich 1998 von unserem Mentor Dr. Pankaj Naram in dessen Ayurveda-Klinik in Mumbai gelernt haben. Trotz der banal anmutenden Einfachheit verbirgt sich hinter diesem Statement eine erstaunliche Weisheit, deren tiefe Bedeutung uns erst später bewusst wurde. Die ersten zwei Jahre unseres Lernens verliefen komplett unter dem Motto von Doing; all unser erlangtes Ayurveda-Wissen erwuchs direkt aus der praktischen Erfahrung – sowohl mit Patienten in der Klinik als auch am eigenen Körper. Erst mit Beginn des Universitätsstudiums in London wurde uns klar, wie effektiv und segensreich diese Praxiszeit gewesen war. Die an der Uni vorherrschende akademische Obsession mit Schrift und Shloka, die oft realitätsferne Rhetorik und der Mangel an praxisorientierter Wissensvermittlung ließen uns relativ schnell erkennen, daß Akademia leider nur begrenzt in der Lage ist, die Ayurvedische ‘Wissenschaft des Lebens’ inspirierend an Studenten weiterzugeben. Zwar erarbeiteten wir uns an der Uni eine Menge zweifellos wichtiger Theorie, aber deren effektive Anwendung im Umgang mit Patienten (und uns selbst!) erfolgte primär aufgrund unseres praktischen Studiums mit Dr. Naram. Letztendlich ist Wissen nichts weiter als Information; Doing jedoch eröffnet Wege zur inneren Transformation...
Ein weiteres Grundkonzept des Pulslesens, das sich von Knowing-Doing ableiten läßt, ist die Polarität von maskuliner und femininer Energie. Während Struktur, Gedanke, Theorie, Analytik, Erinnerung und Vergangenheit eher der linken bzw. maskulinen Gehirnhälfte zugeordnet sind, ermöglichen die femininen Qualitäten der rechten Gehirnhälfte Zugang zu Gegenwart, Beobachtung, Emotion, Intuition, Kreativität und Zukunftsvision. Es läßt sich hier sicher unschwer erkennen, daß Pulslesen eine Aktivität der rechten Gehirnhälfte ist, und daß das ‘Eintreten ins Herz’ der Patienten eher sanfte, flexible und einfühlsame ‘weibliche’ Energien erfordert. Das Erlernen der Pulslesetechnik und die damit verbundene Kommunikation des Herzens haben mir zum Beispiel dazu verholfen, mit anderen und mir selbst liebevoller und mit bedeutend mehr Respekt umzugehen. Das faszinierende Beispiel unseres Lehrers Dr. Naram, anderen Menschen mit Liebe und wahrer Aufmerksamkeit zu begegnen, hat mich zutiefst berührt und dazu motiviert, für meine eigene Arbeits- und Lebenspraxis ebenfalls den Weg des Herzens zu wählen. Dieser Entscheidung verdanke ich heute eine deutlich bewußtere Wahrnehmung und Erfahrung meiner Männlichkeit und inneren Stärke – gekoppelt mit einem wachsenden Respekt für weibliche Kreativität und mütterliche Liebe. Mit großer Dankbarkeit kann ich beobachten, wie dieser Prozess sowohl die Beziehung zu meiner Frau als auch die zu meinen Eltern mit viel Liebe und Heilung gesegnet hat…
Die Nadi Vaidyas der Siddhaved Linie praktizieren Pulslesen als Seva: selbstloser Dienst am anderen. Seva Praxis und die damit verbundene Erfahrung des universellen Gesetzes von Geben und Nehmen gehören ebenfalls zu transformierenden Erlebnissen auf meinem bisherigen Werdegang als Pulsleser. Die Hilfe und Unterstützung, die meine Frau und ich in unserem täglichen Leben erfahren dürfen, läßt sich mit Worten kaum beschreiben, und ich möchte an dieser Stelle lediglich erwähnen, daß ich mir bis heute nichts Erfüllenderes und Zufriedenstellenderes vorstellen kann als die Arbeit mit Patienten in unserer gemeinsamen Ayurveda- und Pulslesepraxis.
Seit 2006 sind wir der Aufforderung von Dr. Naram und seiner Frau Dr. Smita gefolgt, unsere erlangten Fähigkeiten und praktischen Erfahrungen an Kollegen weiterzugeben. In praxisorientierten Workshops in England, Österreich und Deutschland bemühen wir uns jetzt darum, den ‘Nektar der Gurus’, wie Dr. Naram liebevoll die Nadi Vigyan Kunst und das überlieferte Wissen der Siddhaved Meister nennt, an Ayurveda-Studenten, Therapeuten, Ärzte und Heilpraktiker auf inspirierende Weise zu vermitteln. Dank der interaktiven Arbeit mit unseren Seminarteilnehmern entdecken auch wir immer neue Dimensionen des Pulslesens und dürfen somit unsere persönliche Weiterbildung in Nadi Vigyan als einen stetig fortlaufenden Transformationsprozess erfahren – ganz im Sinne der wunderbaren Definition: education is the sacred business of becoming your self.
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