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Ayurvedische Marma- und Vitalpunktmassage und verwandte Verfahren des Westens

Ayurvedische Marma- und Vitalpunktmassage und verwandte Verfahren des Westens

24.12.2007 | von Nathalie Neuhäusser Während klassische Ganzkörpermassagen, wie die Abhyanga, vorrangig auf die Harmonisierung innerer Organsysteme abzielen, arbeitet die Vitalpunktmassage mit dem subtilen Nadi-Marma-System. Gleichzeitig setzt sie am Bewegungsapparat des Menschen an. Dadurch gilt die Vitalpunktmassage als eigenständige Behandlungsform, welche – im Gegensatz zur Abhyanga - ein vollständiges Therapieprogramm sogar ersetzen kann, vorausgesetzt, der Therapeut verfügt über exzellentes Wissen und reichlich Erfahrung.

Verschiedenste Wirkungen anderer ayurvedischer Massageformen fließen in der Vitalpunktmassage zusammen und ergänzen sich zur ganzheitlichen Heilmassage.

„Marma Chikitsa“ kann mit „Behandlung der Marmapunkte“ übersetzt werden. Das Wort Marma, bzw. maram kommt aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wie „verletzlicher/ tödlicher Punkt“. „Maram“ wird von der Wurzel mri abgeleitet, was mit „sterben“ übersetzt wird.
Charakteristisch für alle Marma- und Vitalpunkte ist ihre große Druckempfindlichkeit. Innerhalb eines bestimmten Hautareals sind Marmas die sensitivsten Stellen. Manchmal genügt schon ein leichter Druck auf den Punkt, um einen heftigen Schmerz hervorzurufen.

Marmas sind jene Stellen im Körper, an denen Sehnen, Muskeln, Gelenke, Knochen und Gefäße zusammentreffen. Dadurch wird deutlich, dass Marmapunkte direkt auf die Körperhaltung und die Spannungszustände der Muskulatur Einfluss nehmen. Zugleich sind Marmas jedoch auch Punkte, die den physischen Körper mit unserem spirituellen Körper verbinden. Beim Berühren eines Marmapunktes stellen wir eine unmittelbare Verbindung zu unserem Bewusstsein her, das heißt, zu jenem Bereich in uns, von welchem aus alle Körperfunktionen und alle seelischen Prozesse koordiniert werden. Es handelt sich um die Ebene der reinen Intelligenz, welche alle anderen Körperhüllen umschließt und beeinflusst. Beim Arbeiten mit den Marmapunkten begeben wir uns an den unmittelbaren Ursprung aller gesunden und kranken Strukturen unserer „Körper-Seele“; an jenen Ort, von welchem aus die Blaupause oder der Bauplan geschrieben wird, der später unseren physischen Körper, wie auch unseren mentalen und emotionalen Körper ausbildet.
Ein guter Therapeut vermag gewissermaßen die Umschreibung dieser Ur-Information, die auch DNS genannt wird, einzuleiten. Er ersetzt negative Prägungen und krankhafte „Bauanleitungen“ unserer Körper-Seele-Strukturen mit positiven. Dadurch wird deutlich, dass eine exzellent ausgeführte Marmatherapie, vor allem wenn sie durch spirituelle Heilkräfte unterstützt wird, unter Umständen viele Ausleitungs- und Reinigungsprozesse von Panchakarma ersetzen kann. Marma-Therapeuten sind sowohl medizinisch als auch spirituell geschult und haben daneben in der Regel Ausbildungen in Yoga und /oder indischer Kampfkunst absolviert. Die Beherrschung der eigenen Prana-Kraft sowie der eigenen Gedanken sind eine unbedingte Voraussetzung dafür, dass auch der Fluss von Prana in den Marmas und im energetischen Körper des Patienten beeinflusst werden kann. Nur wer seinen Mentalkörper beherrscht, wird dazu in der Lage sein, über die Marmatherapie auf die verschiedenen Körperhüllen (Koshas) des Empfängers einzuwirken.
Marmas stellen Tore in das Innere des Menschen dar. Durch diese Tore können sowohl der Körper als auch der Geist und die Seele des Menschen passiert werden.
Daneben verbinden die Marmapunkte die subtilen Energiemeridiane des Körpers. Ähnliche Punkte sind auch den Kennern des chinesischen Medizinsystems bekannt. Dennoch sind Marmas viel mehr, als nur Punkte, welche Energiemeridiane öffnen. Sie sind überaus mächtige Kraftzentren, in welchen sich Prana verdichtet, und durch welche gewissermaßen die Lebenskraft und das Leben selbst beeinflusst werden können.
Diese Erfahrungen machten zuallererst die Kalaris. Diese indischen Kriegerstämme hatten vor langer Zeit festgestellt, dass ihre Gegner stark verletzt oder getötet werden konnten, falls sie an bestimmten Punkten getroffen wurden. Auch die Yogis arbeiteten früh mit dem Marma-Nadi-System. Sie öffneten das Nadi-System über bestimmte Yoga-Asanas, Atemübungen (Pranayama) und Meditationen. Ein geklärtes Energiefeld und eine freie Zirkulation von Prana sind die Voraussetzung für die Erhebung der Seele in höhere Bewusstseinszustände und zur Erlangung bestimmter yogischer Fähigkeiten.
In den meisten Fällen waren Spiritualität, Yoga, Heil- und Kampfkunst eng miteinander verwoben und wurden gleichzeitig gelehrt und praktiziert.
Bei der Anwendung der Vitalpunktmassage beeinflusst die Person des Therapeuten den Erfolg der Therapie noch sehr viel nachhaltiger, als es bei den anderen ayurvedischen Massageformen der Fall ist. Eine spirituelle Ausrichtung des Therapeuten ist unausweichlich, weil die Vitalpunktmassage direkt an der Schwelle zur energetischen Anatomie und zur spirituellen Welt wirkt.
Daher sind auch die Anwendungsmöglichkeiten und Wirkungsebenen sehr vielfältig. Da spirituelle Heilkräfte in die Therapie mit einfließen und bewusst eingesetzt werden können, besitzt die Marma Therapie eine große Macht. Marma-Therapeuten sind in der Regel auch Heiler, die ayurvedische Prinzipien anwenden und diese mit spirituellen Kräften verbinden.

In ayurvedischen Kreisen entbrennen nicht selten heftige Diskussionen darüber, ob die Marmapunkte zum Zwecke der Heilung eingesetzt werden können. Tatsächlich werden die Marmas in den klassischen Texten zwar erwähnt, jedoch wird keine spezielle „Marma-Massage“ beschrieben. Viele Therapeuten schließen daraus, dass die Marmapunkte lediglich eine Bedeutung für die Chirurgie haben. Hier nämlich dürfen sie im Fall von Operationen nicht durchschnitten werden. Ansonsten wird häufig auf die Therapie von verletzten Marmapunkten eingegangen. Die Heilung über bzw. durch die Marmapunkte wird selten erwähnt und oft bestritten oder angezweifelt. Meiner Ansicht nach wurde die Marmatherapie in den Schriften nicht detailliert aufgeführt, weil sie zum einen mehr den Kampfkünsten Südindiens entsprang als dem klassischen Ayurveda und zum anderen, weil die Marmatherapie lange Zeit als geheimes Wissen galt. Aufgrund ihrer sehr machtvollen Wirkung wurde sie nur direkt von Lehrer zu Schüler weitergegeben. Die Überlieferung erfolgte also in mündlicher Form und nur an Schüler, die sich dieser Unterweisung für würdig erwiesen und sich bereits einer spirituellen Schulung unterzogen hatten.
Wer bereits in irgendeiner Form mit den Marmapunkten gearbeitet oder Vitalpunkt-Behandlungen erhalten hat, wird ihre heilende Wirkung nicht mehr abstreiten.
Neben den 107 klassischen Marmas gibt es noch zahlreiche weitere Marma- bzw. Vitalpunkte. Sie werden unter anderem in der ayurvedischen Akupunktur eingesetzt. Vaghbata, der Verfasser der Asthanga Hridaya, hatte vor ca. 1500 Jahren erklärt, dass jeder sensitive Punkt des Körpers einen potentiellen Marmapunkt darstellt. Wenn man sich bewusst macht, dass mehr als 72 000 Nadis durch den Körper führen, wird schnell klar, dass es an allen Körperstellen zu einem blockierten Energiefluss kommen kann. Manchmal sind diese individuellen Vitalpunkte sogar noch sensibler als die klassischen Marmas, je nachdem, wie frei Prana in dem jeweiligen Punkt zirkuliert.
Während der Vitalpunktmassage werden die blockierten Punkte systematisch aufgespürt und befreit.

 

Wissenschaftliche Erklärungsmodelle und verwandte Verfahren

Verschiedene moderne Therapieverfahren weisen große Ähnlichkeit mit der ayurvedischen Vitalpunkttherapie auf. Bei Orthopäden und Physiotherapeuten setzt sich eine neue und sehr effektive Behandlungsform durch: Die Triggerpunktbehandlung. Ein weiteres Konzept mit vergleichbarer Technik nennt sich Myoreflex-Therapie. Diese wissenschaftlich orientierten Methoden beziehen sich ganz oder teilweise auf das aus Asien stammende Meridiansystem.

Als ich mich eines Tages von einer befreundeten Heilpraktikerin behandeln ließ, da ich selbst unter starken Verspannungen litt, war ich nicht wenig erstaunt darüber, dass sie genau dieselben Punkte behandelte, die ich von meiner eigenen Massagearbeit her kannte. Dabei hatte meine Bekannte noch nie etwas von ayurvedischen Massagen gehört, sondern eine Ausbildung in der von Kurt Mosetter entwickelten Myoreflex-Therapie absolviert. Der deutsche Arzt hatte, angeregt durch einen schweren Krankheitsfall in der eigenen Familie, nach einer Synthese zwischen westlicher und fernöstlicher Medizin gesucht. Mosetter eignete sich in Tibet Kenntnisse über die energetische Anatomie und das Meridiansystem an und suchte schulmedizinische Erklärungsmodelle, um diese alten Lehren in einen wissenschaftlichen Kontext zu bringen. Diese Vorgehensweise erklärte er folgendermaßen: „In Asien interessiert man sich nicht dafür, warum etwas funktioniert. Im Westen trauen wir aber nur jenen Dingen, die wir verstehen. Bei uns muss man erklären können, weshalb man etwas tut.“

Myoreflex und die moderne Triggertherapie gleichen auf verblüffende Weise der ayurvedischen Vitalpunktmassage. Mit dem einen Unterschied, dass die modernen Systeme einen rationalen und „männlichen“ Ansatz bevorzugen, während die ayurvedische Lehre, als „Mutter der Medizin“, einen eher weiblichen und intuitiven Charakter hat. Während meine Freundin jahrelang Triggerpunkte auswendig lernte, verbrachte ich viel Zeit auf die Schulung meiner spirituellen und intuitiven Gaben. Das Ergebnis war dasselbe: Wir arbeiteten mit denselben Punkten, welche meine Bekannte beim Namen nennen konnte, und die ich „einfach spürte“.

Das Myoreflex-System basiert auf einem Therapiemodell, welches unterschiedlichste wissenschaftliche und medizinische Komponenten vereint: Neurophysiologie, Orthopädie, Biochemie, Neurologie, klinische Psychologie, die Meridianlehre fernöstlicher Lehren, Physik, Biomechanik und Neurobiologie.
Es geht von einer Vernetzung von Stress, Emotion, Schmerz, und körperlicher Bewegung aus. Dabei basiert es auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die belegen, dass der Körper über ein eigenes Gedächtnis verfügt. und dass jedes Ereignis Spuren im Zentralen Nervensystem hinterlässt.
Daneben spielt das Meridiansystem eine große Rolle, welches, wie Wiener Mediziner bereits in den 50-er Jahren belegt hatten, entlang des Muskelsystems angelegt ist.

Tatsächlich befindet sich auch eine große Zahl der Marma- und Vitalpunkte im Bereich von Muskeln und Sehnenansätzen. Durch die Auseinandersetzung mit dem Myoreflex-System machte ich eine interessante Entdeckung: Oft hatte ich mich darüber gewundert, dass die Vitalpunkte, die ich erfühlte, keineswegs auf verhärteten Muskelarealen zu ertasten waren. Vielmehr liegen sie in den Vertiefungen, das heißt, im Bereich des weichsten Gewebes, und dort, wo der Muskeltonus am schwächsten ist. Kurt Mosetter lieferte hierfür eine einfache Erklärung: Muskeln unterstehen dem Prinzip von Spieler und Gegenspieler. Das heißt, wenn der Agonist sich anspannt, führt der Antagonist die entsprechende Gegenbewegung durch und entspannt sich. Davon ausgehend, dass alle Muskeln miteinander in Verbindung stehen und regelrechte Muskelketten bilden, wird klar, dass bei Druckausübung auf die Vertiefungen, welche die hypotonen Muskeln darstellen, die hypertonen Bereiche erschlaffen. Die Vitalpunkte sind demnach nicht identisch mit den Punkten größter Spannung in einem Muskel. Vielmehr stellen Sie die hyptotonen Bereiche dar, die bei Kontraktion ihren Gegenspieler dazu bewegen, sich zu öffnen und zu entspannen. Marma- und Vitalpunkte, die ja immer in Form von leichten „Mulden“ bzw. Vertiefungen ertastet werden können, sind also jene Areale, welche die Spannung der umliegenden Muskulatur steuern, nicht aber die Spannungspunkte selbst.
Während meiner langjährigen Arbeit mit der Vitalpunktmassage stellte ich fest, dass Schmerzzustände im Bewegungsapparat oft „wandern“: Sobald die Blockade in einem Punkt gelöst ist, findet sie sich nicht selten in einem anderen Körperbereich wieder. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit, immer den gesamten Körper in eine Massage oder Körperarbeit mit einzubeziehen. Auch das Myoreflex-System kennt dieses Phänomen: Entlang der Nadis bzw. Meridiane verlaufen, laut Mosetter, Muskelketten, die einander beeinflussen und deren schwächstes Glied schließlich mit Schmerz reagiert.Die Myoreflex-Theorie hat interessanterweise die Komplexität der ayurvedischen Vitalpunktlehre in einem neuen Gewand präsentiert und mit modernen und für den westlichen Menschen begreifbaren Begriffen erklärt. Sie greift das holistische Weltbild des Ayurveda auf, seine energetischen und quantenmechanischen Aspekte, seine Psychosomatik, seine Meridianlehre und viele andere Komponenten der Vitalpunktmassage. Großes Gewicht legt die Myoreflex-Therapie dabei auf die unmittelbare Verbindung von Körper und Seele in der Schmerztherapie des Bewegungsapparates:
„Wenn der Alltag hauptsächlich aus Ärger und Hetze besteht, aus dem, was wir umgangssprachlich als Stress bezeichnen, so schleicht sich diese Spannung allmählich auch in den Körper: Schließlich sind wir auch dann gestresst, wenn in Wirklichkeit kein Grund dafür vorliegt. Wir sind nervös, fühlen uns angespannt und angestrengt, möglicherweise sind wir leicht reizbar und verletzlich. Das kommt oftmals daher, dass wir von innen heraus, aus unserem Körper heraus angespannt und gestresst sind. (...) Unsere Gefühle sind konzentrierte Erfahrungen, die auch in unserem Körper Gestalt annehmen. Zwar kann sich mit einer Verminderung der Angst auch die körperliche Spannung regulieren und vermindern. Sehr oft jedoch ist es so, dass eine bloße Psychotherapie ab einem bestimmten Punkt nur noch sehr schwer weiterkommt. Der körperliche Zustand der Anspannung hält dann den seelischen Zustand der Angst fest, Regulation und Selbstheilung stocken. (...) Oftmals nähren sich körperlicher und seelischer Stress gegenseitig.“ (aus: Kraft in der Dehnung, von Kurt und Reiner Mosetter, 2003 Walter Verlag; S. 19 & S. 22)

Die Triggerpunkt-Therapie stellt ein weiteres System der ganzheitlichen Physiotherapie dar, das der ayurvedischen Vitalpunktmassage sehr ähnlich ist. Verfolgt man deren Geschichte zurück, so entdeckt man, dass bereits 1843 ein Mediziner Namens Froeriep schmerzhafte Punkte in den Muskeln identifizierte, die mit rheumatischen Schmerzen in Zusammenhang gebracht werden konnten.
Das englische Wort „to trigger“ wird mit „auslösen“, oder „abfeuern“ übersetzt. Triggerpunkte sind demnach jene Punkte, die unter Druckeinwirkung einen augenblicklichen Schmerz auslösen. Dieser Schmerz kann unter Umständen so heftig ausfallen, dass er eine spontane Reaktion im Patienten auslöst, wie Aufspringen, Reflexe in Armen und Beinen oder ähnlich lebhafte Bewegungen. Diese myofaszialen Schmerzzentren führen dazu, dass der Muskeltonus im unmittelbar umgebenden Muskelareal ansteigt. Hierdurch wird die Versorgung des Gewebes mit Nährstoffen verhindert und die Stoffwechselendprodukte werden nicht abtransportiert. Ein Teufelskreis entsteht, bei dem Muskelschmerzen und Empfindlichkeit der Triggerpunkte weiter zunehmen.
Auch die Theorie der Triggermechanismen bezieht sich auf alte asiatische Meridiansysteme als Vorläufer der Triggertherapie. 71 % der für die Schmerztherapie angewandten Punkte sind identisch mit den Akupunkturpunkten der chinesischen Medizin.

Der englische Arzt Head hatte außerdem festgestellt, dass jedem Organ des menschlichen Körpers ein bestimmtes Hautareal zugeordnet werden kann, welches wiederum mit den Rückenmarksnerven in Verbindung steht. Aus dieser Entdeckung der „Headschen Zonen“ heraus entwickelte sich später die Bindegewebsmassage, sowie die Erkenntnis, dass über die Regulation der Wirbelsäule kranke Organe geheilt werden können. Head beobachte 1893, dass innerhalb dieser Hautsegmente spezifische „Maximalpunkte“ existieren, welche eine erhöhte Drucksensibilität oder Spontanschmerzhaftigkeit aufweisen. Die Therapie der Organe über diese Maximalpunkte verlief dabei sehr viel erfolgreicher, als wenn beliebige andere Punkte des jeweiligen Segments behandelt wurden.
Genau wie die ayurvedische Vitalpunktmassage und wie die Myoreflex-Therapie betont auch die Triggerpunkt-Theorie den unmittelbaren Zusammenhang von Körper und Seele. Neben physischen Fehlbelastungen werden Stress, Traumata und seelische Störungen als Auslöser für schmerzhafte Triggerareale angesehen.
Dabei stützt sich die Triggerpunkt-Lehre auf die Bioenergetik nach Wilhelm Reich und Alexander Lowen. Laut Reich bilden sich als Ausdruck seelischer Anspannung sogenannte Panzerringe (armour rings) um den Körper, die ihn umschließen und einengen. Reich spricht auch von „in der Muskulatur eingefrorenen Gefühlen“.
Dr. Gleditsch beschreibt dies in dem Buch Triggerpunkte und Triggemechanismen folgendermaßen: „Der Therapeut berührt mit den jeweiligen Punkten oft auch ein tiefsitzendes bzw. lang zurückliegendes unaufgelöstes psychisches Trauma. Der jeweilige Muskelpanzer kann auch als Schutzschild und –wall verstanden werden., womit befürchtete Wiederholungstraumen abgehalten werden bzw. die Lebenssituation ertragbar gehalten werden soll. (...) Somatische und psychische Faktoren sind offensichtlich in den Triggerpunkten punktuell verdichtet, wodurch die Psyche über ein Ventil verfügt.“
Die folgende Ausführung von Dr. Gleditsch lässt darauf schließen, dass die moderne Triggerpunkt-Forschung ähnliche organische Zusammenhänge erschloss, wie es bei der ayurvedischen Marma-Lehre der Fall ist:
„Unter den verschiedenen Triggerpunkten gibt es Punkte mit Signalcharakter, die bei starker Druckempfindlichkeit eine labile psychische Reaktionslage bzw. einen starken Distress anzeigen. Dies gilt besonders für das Areal der Sternummitte in Höhe der Mamillen, oft aber auch weiter kranial. Da das obere Sternalgebiet als ein Reflexareal der Thymusdrüse angesehen werden kann, mag eine extreme Druckempfindlichkeit von sternalen und parasternalen Punkten eine Schwächung im Immunsystem anzeigen.“ Gleditsch beschreibt hier eindeutig Lage und Funktion von Hridaya Marma, sowie seine physischen und psychischen Funktionen.
Gleditsch geht auch auf die wichtige Rolle des Therapeuten ein, sowie auf die energetische Verbindung, die zwischen Therapeut und Patient entsteht: „Die Erfahrung lehrt, dass diejenigen Therapeuten, die psychische Reaktionen ihrer Patienten antezipieren und auch zu begleiten im Stande sind, weit häufiger solche seelischen Freisetzungen katalysieren, als Therapeuten, mit einem vordergründig somatisch-mechanischen Zugang zum Patienten. Insofern kann über die Triggerpunkt-Therapie eine averbale Kommunikation zwischen Patient und Arzt ablaufen.“ (aus: Triggerpunkte und Triggermechanismen von Pekka J. Pöntinen, Jochen Gleditsch und Raymund Pothmann, 2005 Hippokrates Verlag Stuttgart, S. 64f)
Die oben genannten Beispiele geben wieder, dass der Westen östliche Weisheiten mehr und mehr in sein Denken integriert. Es ist eine ständig wachsende Offenheit der abendländisch geprägten Medizin gegenüber energetischer und ayurvedischer Heilweisen zu beobachten. Andererseits profitiert jedoch auch der Ayurveda von den wissenschaftlichen Erklärungsmodellen des Westens. Diese nämlich bewirken, dass immer mehr Menschen einen Zugang zu dem großen Erfahrungsschatz des Ayurveda bekommen.
Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass viele weitere Brücken zwischen Ost und West, zwischen Intuition und Ratio, zwischen Spiritualität und Wissenschaft gebaut werden, da beide Seiten sich nicht widersprechen, sondern einander ergänzen und vervollständigen.


Der Text ist dem Buch: Ayurvedische Massagen von Nathalie Neuhäusser entnommen, erschienen 2006 im Lumière Verlag, ISBN 978-3939387022


Die Autorin:

Nathalie Neuhäusser, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Spirituelle Heilweisen, Yogalehrerin, Ayurveda-Therapeutin (Schwerpunkt: Ayurvedische Psychologie und Marmatherapie) und Fachbuchautorin der beiden Ayurveda-Bücher „Die heilende Kraft der ayurvedischen Massage“ und „Ayurvedische Massagen“ leitet Ayurveda für Frauen, Praxis und Schule für Ayurveda und Yoga.
www.ayurvedafuerfrauen.de

 

Titelbild: Bildrechte ayurveda-portal.de; Hagen Stoll, Natascha Höhn

 

 

 

 

 

 

 

 


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