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Ayurveda in der modernen Kinder- und Jugendmedizin

Ayurveda in der modernen Kinder- und Jugendmedizin

19.08.2005 | – oder – Was können wir von Ayurveda lernen? von Dr. med. Detlef Grunert Eines der acht Hauptfachgebiete im Ayurveda ist die Kinderheilkunde (Kaumarabhritya). Im engeren Sinne befasst sich diese Fachrichtung mit der Versorgung von Mutter und Kind vor und nach der Geburt, mit der Konstitution des Kindes, der Entwicklung von Körper und Geist inkl. der Intelligenz und den Kinderkrankheiten. Nach heutigem Verständnis umfasst die Kinder – und Jugendmedizin die gesamte Entwicklung und alle Erkrankungen von der Geburt bis zum 18. Lebensjahr. Im Ayurveda ist eine gute Versorgung und Förderung der Kinder die Grundlage der Gesundheit und der Entwicklung einer Kultur!

 


Die Konstitution in der Kindheit und Jugend

Um ein Kind adäquat zu ernähren, zu erziehen und zu fördern, muss seine spezifische Konstitution bestimmt werden. Dies erfordert viel Erfahrung, ist aber durchaus im Kleinkindesalter, häufig sogar bereits im Säuglingsalter, möglich. So können Arzt und Eltern auch ein besseres Verständnis für das Verhalten und mögliche Krankheitsrisiken eines Kindes entwickeln.
Beispiele:

  • Das sehr leichte, unruhige und eher hektische Kind mit hohen Vata-Anteilen neigt besonders zu psychosomatischen Erkrankungen mit z.B. häufigen Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen, zu Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS), aber auch zu Erkrankungen wie Neurodermitis, Pseudokrupp (akute Laryngitis mit Atemnot), Verstopfung (Obstipation), etc.. Diese Kinder sind sehr beweglich, ihnen fehlt aber in der Regel Ausdauer und Kraft. In diesen Bereichen müssen sie besonders gefördert werden.
  • Das unruhige manchmal aggressive Kind mit mittlerem Körperbau und hohen Pitta-Anteilen hat ein erhöhtes Risiko für Entzündungen (z.B. Mittelohrentzündung, Lungenentzündung, ...), Erkrankungen mit hohem Fieber (Risiko für Fieberkrämpfe), für allergische Erkrankungen und im Jugendalter für Akne usw.. Jugendliche mit übermäßigen Pitta-Anteilen haben das höchste Sucht-Potential.  Diese Kinder fallen oft schon als Neugeborene durch ausgedehnte Schreiphasen auf. Diese werden häufig als Bauchschmerzen oder Nabelkoliken fehlgedeutet. Kinder mit hohem Pitta sind in der Erziehung von allen Konstitutionstypen am schwierigsten! Wichtig ist hier besonders konsequentes Verhalten der Eltern, der Erzieher und Lehrer. Durch Üben von Kraft und Ausdauer kann das Stresspotential dieser Kinder gesenkt werden. Auch „Ruhe“ muss trainiert werden. Hier sind Entspannungsverfahren und auch Yoga geeignet
  • Das sehr ruhige Kind mit hohen Kapha-Anteilen neigt besonders zu Erkrankungen mit Verschleimung wie Bronchitis, Sinusitis und Asthma bronchiale. Diese Kinder neigen außerdem zu Übergewicht. Kinder mit hohem Kapha müssen bewegt werden, um eine gute Entwicklung zu erreichen. Hohe Aktivität ist hier unbedingt erforderlich.

Die Phase der Kindheit formt den Menschen und dadurch, wie oben beschrieben, auch die Kultur einer Gesellschaft. Daher ist eine gesunde Entwicklung der Kinder besonders wichtig! Kinder bilden permanent neues Gewebe und sind daher stark abhängig von der optimalen Zufuhr von Nährstoffen und Wasser. Bis mindestens zum 5. Lebensjahr überwiegt unabhängig von der Konstitution zusätzlich der Einfluss von Kapha. Krankheiten mit viel Schleim vom Schnupfen über die Bronchitis bis zur Lungenentzündung treten daher in diesem Alter gehäuft auf. Zwischen dem 5. Lebensjahr und dem Beginn der Pubertät ist der zusätzliche Kaphaeinfluss nur noch gering. Die Kinder wachsen langsamer, die Krankheitsanfälligkeit ist geringer. Körper, Geist und Seele sind relativ ausgeglichen.
Mit Beginn der Pubertät nimmt der Einfluss von Pitta zu. Die Phase bis zum Abschluss der Pubertät ist durch seelische und manchmal auch körperliche Instabilität geprägt. Entzündliche Erkrankungen der Haut (Akne) aber auch psychosomatische Erkrankungen mit Bauch- oder Kopfschmerzen treten gehäuft auf. Zeichen der Instabilität sind auch Störungen und Erkrankungen der Gewebe wie z.B. der M. Osgood-Schlatter (Erkrankung am Ansatz des M. quadrizeps femoris). Die Instabilität des Fortpflanzungsgewebes führt bei weiblichen Jugendlichen zu unregelmäßigen, schmerzhaften oder verstärkten Menstruationsblutungen. Beim männlichen Jugendlichen ist das Hodengewebe vermehrt anfällig für Entzündungen z.B. bei Mumps. Durch den hohen Pittaeinfluss ist die Anfälligkeit für Sucht- und Genussmittel wie Nikotin und Alkohol in dieser Altersgruppe erhöht. Suchtprävention ist daher eine wichtige Aufgabe der Eltern, Lehrer und Jugendärzte!


Die Ernährung in der Kindheit und Jugend

Die Nahrung muss aufbauende Eigenschaften haben und soll ausgewogen sein. Auf eine ausreichende Zufuhr an hochwertigem Eiweiß, komplexen Kohlenhydraten und hochwertigen(!) Fetten mit ungesättigten Fettsäuren muss geachtet werden. Außerdem müssen alle notwendigen Mineralien, Spurenelemente und Vitamine zugeführt werden. Letzteres ist wegen des hohen Bedarfs nur sehr selten über die Nahrung alleine möglich! Die Nahrung sollte im Zweifelsfall ergänzt werden. Die ideale Nahrungsergänzung im Ayurveda ist Amla-Kräutermus (Chyavanprash). Dies kann Kinder und Jugendlichen ohne Bedenken gegeben werden.

Gewürze
Viele Kräuter und Gewürze sind geeignet, den Stoffwechsel zu regulieren und zu verbessern. Es gelten dabei die allgemeinen Regeln für Vata, Pitta und Kapha (siehe Literatur). Gut verträglich sind wärmende, süße oder milde Gewürze wie Kardamom, Zimt, Koriander, Anis, Fenchel, Kurkuma, Basilikum u.a.. Zur Verbesserung des Verdauungsfeuers kann Ingwer verwendet werden.
Bauchschmerzen, Koliken und Blähungen werden gemildert durch Fenchel, Kardamom, Dill oder Kreuzkümmel. Der Geist wird aufgehellt und die geistigen Fähigkeiten verbessert durch Basilikum, Minze, Thymian oder Salbei.
Vorsicht bei sehr scharfen Gewürzen! Sie reizen bei kleinen Kindern den Magen, wirken reduzierend und austrocknend. In der Pubertät erhöhen sie den Pitta-Einfluss zusätzlich und können damit die Probleme der Pubertät weiter verstärken!

Prinzipielles zur Ernährung

Es sollte Wert auf frische und frisch zubereitete Nahrung gelegt werden! Alle Nahrungsmittel mit sattvischen Eigenschaften beeinflussen die Entwicklung des Kindes günstig. Ungünstig sind besonders saure Speisen, zuviel Salz, zu viele Süßigkeiten, konservierte Nahrungsmittel (Konserven, Geräuchertes, Wurst, ...). Diese Nahrungsmittel sind tamasik oder rajasik und beeinflussen die Entwicklung und Eigenschaften des Heranwachsenden negativ!


Bewegung und Sport

Bewegung ist für die gesunde Entwicklung des Kindes essentiell. Neben der körperlichen und seelischen Gesundheit sind insbesondere die Gedächtnisleistungen von der adäquaten Bewegung abhängig. Bereits der Säugling muss bewegt werden. Das Kleinkind muss Raum und Gelegenheit zum Spielen haben. So beschreibt bereits Caraka sehr exakt geeignetes Spielzeug:

  • Spielzeug muss vielseitig sein
  • Spielzeug soll farbig und schön sein
  • Zu kleines und scharfkantiges Spielzeug ist ungeeignet
  • .......

Es muss ein geeigneter Raum zum Spielen vorhanden sein schreibt Vagbhata.
Größere Kinder und Jugendliche sollen entsprechend ihrer Konstitution regelmäßig Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit üben. Hierzu sind Yoga-Asanas und an die Konstitution angepasster Sport zu empfehlen (Grunert 2002).


Ayurvedische Kräuter und Medikamente für Kinder und Jugendliche

Hier gelten die üblichen Indikationen für Beschwerden und Erkrankungen. In Deutschland erhältliche Ayurvedakräuter sind als Nahrungsergänzung anzusehen. Dennoch sind sie sehr wirkungsvoll und sollten nur nach Indikationsstellung durch medizinisch versierte Ayurvedaspezialisten (Ärzte, Heilpraktiker) eingesetzt werden! Verfügbar sind bis auf Ausnahmen (s.u.) Kräuterpulver, die kindgerecht mit z.B. Milch und Honig gegeben werden können, oder Kräuterkonzentrate in Kapseln (günstig für Schulkinder und Jugendliche). Im Folgenden einige Beispiele:

  • Amalaki (Emblica officinalis) steigert die Immunabwehr, verbessert den Aufbau der Gewebe, steigert Intelligenz und Sehkraft und wirkt regenerierend. Es wird am besten als Chyavanprash (Amla-Mus) gegeben.
  • Ashwagandha (Withania somnifera) ist immunstimulierend und steigert den Aufbau der Gewebe insbesondere von Muskelgewebe. Es kann daher bei sehr schwachen, zarten Kindern eingesetzt werden. Außerdem wirkt es gegen Schlaflosigkeit.
  • Ashoka (Saraca indica) ist schmerzstillend, blutstillend und wirkt besonders bei Menstruationsbeschwerden und Menorrhagien.
  • Bala (Sida cordifolia) ist immunstimulierend, vermehrt Gewebe, ist wirksam bei neurologischen Erkrankungen wie Lähmungen und Krampfanfällen.
  • Brahmi (Bacopa monniera) verbessert die Gehirnfunktionen und den Intellekt, wirkt beruhigend, regt den Appetit an und ist einsetzbar bei Angstneurosen, Nervosität, mentaler Schwäche und Schlafstörungen.
  • Shallaki (Boswellia serrata) wirkt entzündungshemmend und schmerzlindernd und ist hilfreich u.a. bei rheumatischen Erkrankungen und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.
  • Shatavari (Asparagus racemosus) hilft bei Erschöpfung, Gewichtsverlust, steigert die Immunkraft und hilft bei Störungen der Menstruation und anderen Pubertätsbeschwerden von weiblichen Jugendlichen.
  • Vasaka (Adhatoda vasica) wirkt schleimlösend und spasmolytisch und hilft bei Bronchitis, Sinusitis und Asthma bronchiale. Kindern wird Vasaka am besten als Sirup verabreicht.

    Beachte: Therapien werden im Kindesalter immer „sanft“ ausgeführt! Es wird nicht „mit der Brechstange“ therapiert! Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen


Ayurvedamassagen

Massagen sind bereits im Säuglings- und Kleinkindesalter sinnvoll. Sie fördern den Aufbau der Gewebe, stimulieren die Abwehr, verbessern das Nervensystem usw., d.h. sie beeinflussen die Entwicklung der Kinder insgesamt positiv. Säuglinge und Kleinkinder werden mit Olivenöl (bestes Öl), Mandelöl oder speziellen Ölrezepturen auf Sesambasis massiert. Die Massagen werden bei kleinen Kindern sanft und mit nur geringem Druck ausgeführt.
Schulkinder und Jugendliche werden je nach Konstitution und Indikation für die Massage auch mit höherem Druck und passenden Therapieölen behandelt. Besonders geeignet sind Öle wie Bala-Ashwagandha-Öl, Vata-Therapieöl, Mahanarayana-Thailam oder bei Bedarf auch Prabhanjana Kuzhambu (stark nährend) z.B. bei starker Abmagerung (Anorexie).
Wichtige Therapieformen sind:

  • Abhyanga (sanfte Ölmassage) in allen Altersstufen zur Regeneration, bei Schlafstörungen usw.
  • Mardana (Ölmassage mit hohem Druck) bei Jugendlichen zur Stimulierung des Stoffwechsels, als Sportmassage usw.
  • Kayaseka (warmer Ölguss) bei Vatastörungen, Anorexie, Schlafstörungen etc.


Weitere ausgewählte Ayurvedatherapien

Abhängig vom Alter des Kindes/Jugendlichen kann nahezu die gesamte Palette der Ayurvedatherapien genutzt werden. Der Einsatz erfordert allerdings eine große Erfahrung in der Kinder- und Jugendmedizin!
Im Folgenden einige wichtige Beispiele:

  • Shirodhara (Stirnölguss) kann eingesetzt werden bei Jugendlichen. Indikationen sind z.B. Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Gedächtnisstörungen und Stresssymptome.
  • Swedana (Schwitzbehandlung) ist in jedem Alter außer dem Säuglingsalter möglich. Kopf, Augen und Herzregion sollen nicht hoher Hitze ausgesetzt werden! Swedana entschlackt, regeneriert, steigert die Abwehr usw.. Es sind verschiedene Formen möglich. Art und Dauer der Schwitzbehandlung muss altersentsprechend gewählt werden. Prinzip: Je jünger umso sanfter und kürzer.
  • Vasti (Einläufe) sind in jedem Alter möglich und sinnvoll. Indikationen sind allgemein Vatastörungen, Obstipation, rez. Kopfschmerzen, gewünschte Entschlackung usw.. Es gibt diverse Varianten. Am sanftesten sind kleine Öleinläufe.
  • Nasya (Nasenbehandlung) soll nicht bei Kindern unter sieben Jahren durchgeführt werden. Indikationen sind Kapha- und Vatastörungen, Sinusitis, Kopfschmerzen etc..


Abschließende Bemerkungen

Für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ist es wichtig, die individuelle Konstitution zu beachten. Außerdem muss auf die altersabhängigen Einflüsse Rücksicht genommen werden. Grundlage für eine gute Entwicklung ist die optimale Ernährung sowie eine altersentsprechende Bewegungsförderung. Kinder sollen schon in jungen Jahren mit verschiedenen Bewegungsformen und auch mit Yoga vertraut gemacht werden. Bewegungen, die man frühzeitig lernt, können leicht das ganze Leben ausgeführt werden. Die Entwicklungsförderung und Prävention von Erkrankungen soll in Zusammenarbeit von Eltern, Erziehern, Lehrern, Therapeuten sowie Kinder- und Jugendarzt erfolgen.
Die Therapie von Erkrankungen soll sanft ausgeführt werden. Häufig ist eine Anpassung der Ernährung (z.B. bei Magen-Darmkrankheiten, Bauchschmerzen, Leistungsabfall, ...)häufig  ausreichend. Die Therapie kann bei Bedarf ergänzt werden durch ayurvedische Kräuter und/oder eine der o.g. Therapieformen. Die ayurvedische Therapie von Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter gehört ausschließlich in die Hand sehr erfahrener Ayurvedaspezialisten. Ideal ist eine Therapieplanung und –steuerung durch einen erfahrenen Kinder- und Jugendarzt.

Literatur:
1. Abhimanyu Kumar: Child Health Care in Ayurveda. Sri Satguru Publications. Delhi 1999
2. Athavale, V. B.: Bala Veda. Pediatrics & Ayurveda. Chaukhamba Sanskrit Pratishthan. Delhi 2000
3. Caraka Samhita. Chowkhamba Sanskrit Series Office
4. Grunert, D.: Bewegung und Sport im Ayurveda. CO´MED 7/2002 20-22
5. Srikanta Sena: Ayurveda Lehrbuch. Vasati Verlag 2003
6. Stier, B., Grunert D., Rolirad K.-D.: Sport bei Kindern und Jugendlichen. In: Pädialog. Care-Line Verlag 1999
7. Swami Sada Shiva Tirtha: The Ayurveda Encyclopedia. Sri Satguru Publications. Delhi 1998
8. The Compendium of Ayurvedic Medicine Principles and Practice. Indian medical Science series No.81. Sri Satguru Publications


Kontakt:
Dr. med Detlef Grunert
Löpsinger Str. 8
86720 Nördlingen
Tel.: 09081-6015
info@yoga-schule.de
http://www.yoga-schule.de

 


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