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Brahman, die höchste Wirklichkeit

Brahman, die höchste Wirklichkeit

15.12.2002 | Von David Frawley Alle Dharmas sind im höchsten Dharma vereint. Dem Universum liegt eine letzte Wahrheit zugrunde, eine ewige, unendliche und unwandelbare Wirklichkeit namens Brahman. Das Wort bedeutet „Weite" oder „das, was alles trägt", und er ist die Grundlage aller dharmischen Prinzipien. Brahman ist die eigentliche Substanz der Existenz, sowohl der manifesten als auch der nicht manifesten, und er ist nicht materiell, sondern spirituell. Wir alle kommen aus dem Brahman, leben in ihm und müssen einst zu ihm zurückkehren. Alle endlosen und zahllosen Universen sind nur Wellen auf dem Meer dieses unendlichen Seins.

Brahman ist Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit (sacchidananda). Das Sein muss bewusst sein, weil ein unbewusstes Sein nur ein Ding wäre, ein begrenztes Objekt ohne unabhängige Existenz. Bewusstsein muss glücklich sein, sonst hätte es nicht den Wunsch zu sein. Ein unglückliches Bewusstsein würde sich im Laufe der Zeit selbst ein Ende machen. Darum sind diese drei Elemente letztlich eines.
Wir wissen um Brahman oder die absolute Wahrheit nur, wenn wir damit eins werden. Es geht hier um die Einheit mit dem heiligen Urgrund des Seins, jenseits der Namen und Formen in der äußeren Welt. Wir alle spüren diese höchste Realität instinktiv und streben von Natur aus zu ihr, wenn wir nicht egoistisch sind. Viele große Weise und Yogis haben sie erkannt und wurden unsterblich.


Atman, das universelle Selbst

Da Brahman alles durchdringt, ist es auch unser wahres Wesen. Als Urzustand aller Kreaturen ist es unsere ursprüngliche Natur. Das reine Sein ist auch reines Bewusstsein. Das ist atman, das höhere Selbst, das in den Herzen aller Geschöpfe wohnt. Brahman und Atman, das Absolute und das Selbst, sind zwei Aspekte der gleichen Wirklichkeit, sowohl im Universum als auch im Individuum. Der unendliche Brahman nennt sich selbst „Ich bin, was ich bin". Wer sich selbst wirklich kennt, der kennt Brahman, die höchste Wahrheit. Doch das wahre Selbst ist kein Produkt der Person oder des Geistes und auch nichts Geschaffenes. Als Bewusstsein transzendiert es Raum, Zeit und Individuum.

Unser wahres Selbst zu finden ist einfach und schwierig zugleich. Es setzt voraus, dass wir im Frieden mit unserem Herzen leben und empfänglich für sein inneres Licht sind. Das ist die Grundlage der Meditation. Wichtig ist dabei, dass Körper, Geist und Prana gesund, rein und dynamisch sind. Yoga zeigt uns, wie wir das Selbst entdecken. Ayurveda zeigt uns, wie wir leben sollen, damit Denken und Handeln mit dem Selbst harmonieren.

Samkhya, die kosmische Wissenschaft

Yoga und Ayurveda entstanden vor einem bestimmten philosophischen und kosmologischen Hintergrund. Sowohl der klassische Yoga - der achtfache Pfad (ashtanga yoga), den Patanjali in den Yogasutras lehrte - als auch der klassische Ayurveda nach Charaka und Sushruta gehen auf die Samkhya-Schule der vedischen Philosophie zurück, die der Weise Kapila vor langer Zeit begründete. Samkhya enthält die wesentlichen Einsichten der Veden und Upanischaden und ist in gewissem Umfang in allen vedischen und vedantischen Lehren enthalten, vor allem in der Kosmologie.

Samkhya ist die ursprüngliche spirituelle Wissenschaft, das Fundament des Yoga und des Ayurveda. Yoga ist die Technik, mit der wir die große Wahrheit Samkhyas erkennen, und wird oft samkhya yoga genannt. Der klassische Yoga benutzt die Kosmologie und die Terminologie des Samkhya und wurde zusammen mit ihm studiert.* Die Weltsicht des Ayurveda gründet auf der Samkhya-Kosmologie, da Yogaübungen ein Teil seiner Therapie sind. Samkhya nimmt 24 primäre kosmische Prinzipien (tattvas) an, um alle Vorgänge im Universum zu erklären. Hinzu kommt das reine Bewusstsein jenseits aller Manifestation.

Purusha, das reine Bewusstsein

Bewusstsein ist das höchste Prinzip des Universums. Es spiegelt das Wirken einer höchsten Intelligenz wider. Reines Bewusstsein ist die Quelle jedes Selbstbewusstseins, dank dessen wir uns lebendig fühlen und selbstständig handeln können. Wir alle fühlen uns als bewusste Individuen, nicht nur als Objekte. Das liegt an unserer Verbindung mit dem purusha in uns, der auch Atman oder höheres Selbst genannt wird.
Die äußere Welt existiert, damit der Purusha Erfahrungen sammeln kann. Die Welt und die Dinge sind beobachtbare Phänomene, die nicht für sich allein existieren können, sondern nur für einen Beobachter.
Das Fundament der Welt ist Intelligenz, und die Welt wirkt durch den Geist und gehorcht organischen Gesetzen, die das reine Bewusstsein widerspiegeln.
Das höhere Selbst unterscheidet sich vom Ich, das im Samkhya ahamkara (Ich-Prozess) heißt. Purusha ist kein verkörpertes Selbst, sondern die reine Natur des Selbstes jenseits aller Objekte. Er ist kein Teil der Schöpfung und besteht nicht aus grobstofflicher, subtiler oder kausaler Materie. Er ist weder Körper noch Geist (die aus Materie bestehen), sondern das ihnen zugrunde liegende Bewusstsein, das nicht von ihnen begrenzt wird. Purusha ist das Substrat, der bewusste Urgrund aller Manifestationen. Sein Licht, das der Geist widerspiegelt, macht Wahrnehmungen möglich.
Obwohl Purusha im übertragenen Sinne „er" genannt wird, enthält er seine eigene Shakti („Sehkraft") als weiblichen Aspekt. Als bewusstes Subjekt können wir Purusha nicht „es" nennen, auch wenn er nicht vom Geschlecht oder anderen äußeren Unterscheidungen begrenzt wird; denn er transzendiert jede Form. Yoga hat das gleiche Ziel wie Samkhya: die Rückkehr zum Bewusstsein des Purusha. Das Ziel des Ayurveda ist die Verbindung des Körpers und des Geistes mit Purusha, der wahren Quelle des Glücks und des Wohlbefindens. Die höchste Heilkraft und das ursprüngliche Prana kommen vom Purusha.(3)

Gott, der Herr des Kosmos

Gott, der Herr des Kosmos, heißt im Sanskrit Ishvara. Er ist die Macht, welche die Welt erschafft, erhält und zerstört, und zwar durch die drei Formen Brahma, Vishnu und Shiva sowie deren weibliche Kräfte Sarasvati, Lakshmi und Kali. Ishvara lenkt die Welten, wacht über das Gesetz des Karma und unterstützt alle Seelen bei ihrer Evolution von der Unwissenheit zur Erleuchtung.
Ishvara gleicht zwar dem Gott des Abendlandes, aber er wirkt durch verschiedene Gottheiten als der eine Schöpfer mit vielen Formen. Ishvara hat viele Namen und Funktionen und wirkt auf vielen Wegen. Wir können ihn auch als Ishvari, die göttliche Mutter, verehren. Das tun viele Schulen des Yoga, vor allem im Tantra.

Auszug aus "Das große Handbuch des Yoga und Ayurveda" von David Frawley, mit freundlicher Genehmigung des Windpferd Verlags, Copyright Windpferd Verlag.

 


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