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Vastu, das vedische Pendant zum Feng Shui

04.12.2011 | Was ist Vastu? "Man sollte, nicht einmal für einen Tag, in einem Haus leben, welches nicht nach den Prinzipien von Vastu errichtet wurde" (aus: Asthanga Samgraha von Vagbhata, Sutra Sthana, Kapitel 3, Vers 111 – 112; die Asthanga Samgraha ist eines der drei Hauptwerke über Ayurveda) Von Hans H. Rhyner

Jeder kennt das Gefühl, sich beim Betreten eines Hauses, einer Wohnung oder einfach nur eines einzelnen Raumes auf Anhieb wohl und geborgen zu fühlen. Ein anderes Gebäude oder Zimmer wirkt dagegen vom ersten Moment an abweisend und unstimmig. Interessant dabei ist, dass diese spontanen Empfindungen bei allen Menschen, welche den betreffenden Raum betreten, in gleicher Weise hervorgerufen werden. Sicherlich gibt es Unterschiede darin, wie schnell ein Mensch die Atmosphäre eines Raumes wahrnimmt und darauf reagiert. Manch einer entdeckt bereits in den ersten Minuten, dass ihm dieser nicht angenehm ist, während andere Zeitgenossen hingegen oftmals über Jahre in einem Haus oder in einer Wohnung leben, bis sie erkennen, dass sie sich darin nicht wirklich wohl fühlen. Doch unabhängig von Alter, Geschlecht und Nationalität, von Bildungsstand und Geschmacksvorlieben wirkt ein Lebens- und Wohnraum einladend oder abweisend, löst Wohlbefinden oder Beklemmung und Unruhe aus, hat eine positive oder eine eher negative Ausstrahlung: was ein Gebäude, ein Raum braucht, um zu »stimmen« und dem Bewohner wohl zu tun, ist gewissermaßen ein archetypisches »Urwissen«, das jeder Mensch besitzt; ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Nicht umsonst sagt ein indisches Sprichwort: »Bei der Wahl deines Partners und Hauses sollst du nicht den Verstand, sondern dein Herz sprechen lassen.« Was wiederum nichts anderes heißt, als dass der Wohnraum - ebenso wie die Liebe - zweifelsfrei emotionale Aspekte besitzt und nicht nur unter funktionellen Gesichtspunkten zu betrachten ist.

Die indischen Weisen und Gelehrten des Altertums beschäftigten sich eingehend mit den Kräften, welche auf ein - und wichtiger noch - in einem Gebäude wirken können. Ihre Ergebnisse machten und machen deutlich, dass es sich bei den Empfindungen, die ein Raum hervorruft, nicht um ein abstruses Phänomen bar jeder Grundlage handelt, sondern ganz im Gegenteil um eine »handfeste« Tatsache, die auf wissenschaftlich erklärbaren Fakten beruht. Vastu bringt den Menschen und seine Wohnumgebung in Einklang mit der Natur. Vastu ist eine überaus komplexe Symbiose vieler Themenkreise - unterschiedlichste Wissensinhalte gehen hier eine einzigartige Verbindung ein. Dabei beschränkt sich die Lehre von Vastu nicht nur auf die Konstruktion einzelner Gebäude, sondern befasst sich auch dezidiert mit der Planung ganzer Städte. Thema ist hier auch nicht nur allein die Architektur, sondern Vastu erstreckt sich auch auf folgende Themenkreise:

Architektur
Ingenieurwesen
Ikonographie
Design
Geomagnetik
Seismologie
Magnetbiologie
Geophysik
Medizin (Ayurveda)
Astronomie
Astrologie (Jyotisha)
Religion, Philosophie und Spiritualität

Die Idee von Vastu basiert auf der Tatsache, dass auf unseren Planeten Erde viele verschiedene Energien und Kräfte einwirken, die ihren Ursprung zum einen im uns umgebenden Universum, dem Kosmos, zum anderen in der Erde selbst haben. Kosmische Energien sind beispielsweise die Strahlen der Sonne, des Mondes und anderer Planeten, terrestrische Kräfte dagegen magnetische, bioelektrische oder thermische Energiefelder. Weitere naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten, die Vastu berücksichtigt, sind die Eigenschaften der fünf Elemente. Diese universalen Grundeinheiten jeder Existenz sind die fünf Elemente Raum (Äther), Wind, Feuer, Wasser und Erde; im Sanskrit Pancamahabhuta genannt. Jedes der Elemente hat charakteristische Eigenschaften, die sich im Menschen wie auch in der Natur unterschiedlich manifestieren - so beispielsweise in den Richtungen und Stärken des Windes (Wind-Element), in der Anziehungskraft (Erd-Element), im Licht und in der Wärme der Sonne (Feuer-Element) oder aber in der Intensität und Häufigkeit von Regenfällen (Wasser-Element).

Sinn und Zweck von Vastu
Bedingt durch die heutige hektische Lebensweise ist das Bedürfnis nach einem angenehmen Zuhause, einem Refugium, in das man sich zurückziehen und Entspannung finden kann, sehr groß. Wohn- und Arbeitsräume haben mehr denn je die Aufgabe, einen Ausgleich zu schaffen, das körperliche und geistige Wohlbefinden zu fördern und nicht zuletzt das physisch wie psychisch angegriffene Immunsystem zu stärken. Doch genau hier zeigt die Architektur der letzten Jahrzehnte Schwächen, indem sie funktionale, ästhetische und materielle Aspekte in den Vordergrund stellt, überbewertet und darüber die Bedürfnisse der Menschen vergisst, die in dem fertigen Gebäude einmal leben sollen. Diesem Missstand wird nun vor allem in den westlichen Ländern seit einigen Jahren versucht entgegenzuwirken - man denke an biologisches Bauen mit schadstofffreien Materialien und andere Bestrebungen, um Architektur und Schaffen von Lebensqualität wieder einander anzunähern. Ebenso wie Indiens alte Medizin Ayurveda, die gerade die westliche Welt erobert, ist auch Vastu kein Heilsversprechen, mit dem die Folgen der heutigen Lebensverhältnisse und -weisen aufgebessert werden können. Anliegen von Vastu ist es vielmehr, wertungsfrei und ohne jedes Dogma auf Umstände aufmerksam zu machen, das Empfinden zu schulen und die Sinne zu schärfen, um nachteilige Wohnsituationen zu verändern.

Praktische Tipps
Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, dass ein Gebäude mit den natürlichen Kräften arbeitet und nicht gegen sie, und wie deren Einfluss zum Wohl der Bewohner genutzt werden kann, vermitteln die Prinzipien von Vastu. Dabei handelt es sich um Empfehlungen, die ausgehend vom Gesamtgefüge bis hinein in die kleinsten Details Gültigkeit besitzen und die sich einfach auf die heutigen Verhältnisse übertragen und in die Praxis umsetzen lassen. Auch sind die Prinzipien von Vastu universal anwendbar - ob im privaten Wohnraum, in öffentlichen Gebäuden, Büros und Industriegebäuden, Krankenhäusern und Schulen oder aber in ganzen Städten.

Die Ausrichtung eines Grundstückes, Hauses oder Wohnraumes nach den vier Himmelsrichtungen bildet ein wichtiger Bestandteil der Vastu Prinzipien. Wirken doch dadurch die Energiefelder und Ströme ideal auf einen Raum ein. Dem Nordosten kommt eine primäre Bedeutung zu, da hier die positivsten Strahlungen auf einen Raum eintreffen und sich dann weiter nach Südwesten bewegen. Mögliche Hindernisse, wie hohe Gebäude oder Bäume behindern diesen Fluss, während Wasserkörper oder ein Gefälle nach Nordosten förderlich sind. Im Gegensatz dazu sollten im Südwesten gewichtige Hindernisse platziert werden, um den Abfluss der positiven Kräfte zu behindern. Dieses Prinzip wird in der Zuteilung der Quadranten an die Elemente Wasser, Feuer, Erde, Wind und Äther offensichtlich (erste Skizze) und dient als einfaches Schema zu jedem weiteren Arbeiten mit Vastu. Hier die wichtigsten 3 Grundregeln von Vastu:

1.Ausrichtung nach den vier Himmelsrichtungen, damit die energetischen Gitter ideal in den Raum passen
2.Die stärkenden und lebenswichtigsten Energien treffen hauptsächlich im Nordosten auf einen Raum. Während der Nordosten offen sein sollte muss der Südwesten die positiven Energien am Verlassen hindern.
3.Funktion und Wirkung eines Raumes können an Hand der Qualitäten der fünf Grundelemente erklärt werden, die in den unterschiedlichen Quadranten vorherrschen. Fehlt zum Beispiel die Nordwestecke einer Wohnung, dann fehlt im Leben der Bewohner Bewegung, Fortschritt, Offenheit, Sensibilität, denn das Wind Element, das für Bewegung steht, kommt nicht zum tragen.

Kürzlich, bei einem Vortrag in Wien, hat sich ein Teilnehmer darüber beklagt, dass seine Gäste nach einem netten Abend kaum zu bewegen sind, aufzustehen und nach Hause zu gehen. Der Grund dazu war schnell gefunden: Sein Esszimmertisch steht bei ihm in der Südwestecke der Wohnung. Hier herrscht das träge, schwere Erdelement. (Skizze 1) Wer hier sitzt, beherrscht den Raum und will sich nicht mehr bewegen. Deshalb gehört das Elternschlafzimmer dorthin platziert und nicht die Gäste oder Schwiegermutter. Letztere sollen im Wind-Quadranten untergebracht werden. Dort herrscht Bewegung. Die Küche gehört entsprechend in die Feuerecke im Südosten und das Bad in den Wasserquadranten im Nordosten.  Die höchste Energiedichte herrscht im sogenannten  Brahmasthana, dort wo sich die beiden Diagonalen (Nordosten zum Südwesten und Nordwesten zum Südosten) kreuzen. Diese einfachen Prinzipen kommen in allen Bereichen zur Anwendung: beim Grundstück, beim Haus, in der Wohnung, im Zimmer und sogar bei Möbelstücken.

Die zweite Tabelle ergibt sich aus der Anordnung der Elemente und zeigt die ideale Raumzuordnung in einem Haus, einer Wohnung oder einem Betrieb auf. Abweichungen davon beeinträchtigen die Lebensqualität und den Wohnkomfort. Das ist jedoch kein Grund zum verzweifeln, denn grundsätzlich ist bereits bei eine Vastu Konformität von über 51 % eine förderliches Wohnklima gegeben. Das Einrichten nach diesen einfachen Prinzipien kann jede Frau und jeder Mann vornehmen und sich damit ein gutes Wohnklima schaffen. Die Korrektur von schweren Defekten sollte jedoch von geschulten Fachleuten vorgenommen werden.

Die 4 Vastu Quadranten und ihre Zuordnung zu den Elementen und Bioenergien
(Skizze 1)
Skizze1

 

Die 9 Vastu Quadranten und ihre Zuordnung für Wohn- und Arbeitsbereiche
(Skizze 2)
 
Norden
Skizze2
Süden

 


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Dr. Hans Heinrich Rhyner

Kontaktadresse des Autors
Schweizer Praxis für Ayurveda Medizin
Hauptstrasse 45, 9053 Teufen AR, Schweiz
Phone +41 (0)71 245 42 42
www.ayurveda-rhyner.ch

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