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Einführung in die Ayurveda Philosophie – Teil I: - Mann und Frau - 1. Teil

Einführung in die Ayurveda Philosophie – Teil I: - Mann und Frau - 1. Teil

18.06.2011 | Von Dr. Sajan Kumar S. (BAMS) „Siva wird in Gemeinschaft mit Sakthi fähig, Kraft zu entfalten (aktiv zu werden und zu divergieren oder sich auszubreiten). Ohne diese Gemeinschaft vermag der Herr (Siva) nicht einmal pulsieren (die grundlegende Vibration des Universums, „Spandam“ hervorzubringen).“ (Soundarya Lahari – I. von Sri Shankara)


Mann und Frau- 1. Teil

Eine Einführung in Ayurveda beginnt normalerweise mit der Lehre über die Thridoshas, dem grundlegendsten Prinzip des Ayurveda. In der Philosophie dagegen ist es meist die nichtdualistische Sicht der Realität, Advaitha, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht und die alles auf eine Einheit zurückführt. Zwischen dieser Dreiheit und Einheit, steht die Dualität, die jedoch meist unbeachtet bleibt. Dies wird uns erst richtig bewusst, wenn wir im Vergleich dazu auch einen Blick auf die Traditionelle Chinesische Medizin oder den Taoismus werfen. Um die Advaitha-Philosophie und das Thriguna- oder Thridosha-Konzept besser zu verstehen, ist es heute dringend notwendig, sich gerade auch mit dem Dualismus, Dwaitha, auseinanderzusetzen. Es ist anzunehmen, dass die Advaitha-Lehre und die spirituelle Bewegung, die durch sie ausgelöst wurde, aus einer Atmosphäre heraus entstand, in der die dualistischen Philosophie-Systeme die Vorherrschaft hatten. Die Auffassung von der Dualität als der absoluten und feinsten Essenz aller Dinge, wurde verdrängt von der Vorstellung einer Singularität, die sich polarisiert und die Dualiät hervorbringt. Im Laufe der Zeit ist dann der Dualismus stärker in den Hintergrund gerückt, da sich die Gelehrten mehr um das Verständnis und die Erklärung des Advaitha und der Singularität bemühten.

Von den verschiedenen indischen Philosophie-Systemen ist es die Philosophie des Thanthra, die sich in direkter und indirekter Weise sehr stark mit dem Dualismus auseinandersetzt. Thanthra ist kein Philosophie-System im eigentlichen Sinne, sondern es befasst sich mehr mit spirituellen Praktiken und ist auf direkte Erfahrung ausgerichtet. Gleichzeitig beinhalten die heiligen Bücher der verschiedenen Saiva- und Saktheya-Traditionen und deren Mythologie aber auch philosophische Gedanken. Mann und Frau, Lingam und Yoni, die das männliche und das weibliche Geschlechtsorgan symbolisieren, sind die am häufigsten verwendeten Symbole im Thanthra, die stellvertretend für die Dualität gesehen werden. Eine der besten Ausdrucksformen des Dualismus in Begriffen der Sexualität, finden wir in der Ardha Nareeswara-Darstellung, einer Figur, die zu einer Hälfte Mann und zur anderen Hälfte Frau ist. Die rechte Seite der Figur stellt Gott Shiva dar und die linke Hälfte, die Göttin Shakthi.

Grundsätzlich sind sich Mann und Frau in nichts gleich, sondern ergänzen sich vielmehr gegenseitig. Die beiderseitigen Stärken und Schwächen finden ihren perfekten Ausgleich zwischen diesen beiden Gegensätzen, wodurch beide zusammen harmonisch und vollkommen werden. Dualitäten kommen durch die Polarisation der Einheit zustande. Anders ausgedrückt, befindet sich hinter der Polarisation oder Trennung ein heiliges Einverständnis beider Dualitäten, sich durch den gegenseitigen Austausch aller Stärken und Schwächen zu ergänzen und damit vollkommen zu machen, um gemeinsam wieder ein Ganzes zu bilden. Die relativen Stärken des einen Partners werden von dem anderen Partner gegeben bzw. empfangen. Diese Art des Teilens ist letztendlich nichts anderes, als ein gerechter Ausgleich, vergleichbar mit der Rückzahlung eines Kredites. Die Behauptung, dass Frauen fähig seien, all das zu tun, was auch Männer tun, stellt eigentlich eine Glorifizierung des Männlichen dar, da Frauen damit indirekt dazu herausfordert werden, männliche Eigenschaften und Fähigkeiten auszuprägen. Um eine natürliche Einordnung zu bewahren und dem eigenen Wesen gerecht zu werden, sollten Frauen vielmehr die Glorie des Frau-Seins erkennen und gleichzeitig auch das Männliche respektieren und Männer sollten umgekehrt das gleiche tun. Beide sind dem anderen gegenüber weder über-, noch unterlegen. Alles, was sie besitzen, sollten sie miteinander teilen. Wirkliche Männer und wirkliche Frauen, die ihr Leben miteinander teilen, indem sie sich gegenseitig ergänzen, leben die sinnvollste und ideale Form der Gemeinschaft. Diese Art des Zusammenlebens beschreibt das natürlichste und schönste Konzept des Lebens, welches in der Ardhanaareeswara-Darstellung zum Ausdruck gebracht wird. Die Trennung ist dazu da, um die mit ihr verbundene Spannung und den Schmerz über den Zustand der Unvollkommenheit zu erleben und um die Leichtigkeit in Erfahrung zu bringen, die mit dem Austausch aller Stärken und Schwächen, aller Positive und aller Negative durch das Einswerden entsteht. Die grundlegende Natur des Universums liegt in der Wiederholung einer im Wechsel stattfindenden Einheit und Trennung der Dualitäten.

Es gibt weder einen Mann, noch eine Frau im absoluten Sinne und wird sie auch nie geben. Die Weiblichkeit ist vielmehr in schlafender Form auch im Mann und die Männlichkeit in der Frau vorhanden und zwar je nach Person, Kultur und Lokalität in unterschiedlichem Verhältnis. Das Verhältnis dieser beiden Kräfte kann sich auch verändern. Wenn ein Mann zu starke feminine Züge ausprägt oder eine Frau zu maskuline, so werden sie sexuell gesehen weniger anziehend aufeinander wirken. Frauen mit einer ausgeprägten Weiblichkeit und Männer mit ausgeprägt männlichen Zügen, üben dagegen eine starke Anziehungskraft aufeinander aus. In Indien sind die meisten der klassischen Tanzstile für Frauen bestimmt. Sie tragen dazu bei, weibliche Eigenschaften zu kultivieren. Die regelmäßige Praxis dieser Tanzstile von Kindheit an, führt zur Entwicklung von weiblichen Wesenszügen und geschwungenen Körperformen. Es gibt allerdings auch viele Männer, die diese Tanzstile zu ihrem Beruf machen und die dadurch mit der Zeit zunehmend weibliche Züge entwickeln, sowohl auf körperlicher, als auch auf psychischer Ebene. Wenn auch in Bezug auf die Musik eine solche Zugehörigkeit nicht vorhanden ist, so wurden die klassische indische Musik und die meisten klassischen Kunstformen dazu entwickelt, um die kühlende, weibliche Form von Agni herabzubringen, welche beruhigend wirkt und den Frieden und die Kreativität fördert.

Männer und Frauen unterscheiden sich in allen östlichen Kulturen in Kleidung und Schmuck sehr deutlich voneinander. Eine solche Einteilung finden wir in allen Bereichen des Lebens, insbesondere bei den Berufen. Weit mehr als im Westen, gibt es dort Berufe und Aktivitäten, die nur von Männern und solche, die nur von Frauen ausgeführt werden. Wenn man einmal von negativen Erscheinungen, wie die der Diskriminierung von Frauen und der Vorherrschaft von Männern absieht, so besteht auch eine naturgegebene Notwendigkeit für solch eine Unterteilung. In der westlichen Kultur überwiegt bekanntlich mehr die maskuline Wesensseite und in der östlichen Kultur die feminine. Es ist kein Zufall, dass auf der einen Seite der Erdkugel die Maskulinität dominiert und auf der anderen die Femininität. Vielmehr sind solche Gegensätzlichkeiten auf allen Ebenen des Lebens gegeben. So ist beispielsweise aus der Sicht des Ayurveda bei Frauen allgemein die linke Körperhälfte schwerer und bei Männern die rechte. Bei einer horizontalen Unterteilung ist beim Mann die obere Körperhälfte schwerer und bei Frauen die untere. Bei den vierbeinigen Tieren sind die weiblichen Tiere leichter und bei Vögeln die männlichen. Bei Menschen und Tieren ist allgemein der Kopf der schwerste Teil des Körpers, während bei Pflanzen der untere Bereich schwerer ist. In gleicher Weise existiert jedes sich selbst ausgleichende Wesen innerhalb des manifestierten Universums als eine Dualität, so dass eine unendliche Unterteilung in immer feinere Ebenen möglich ist, bei der immer wieder neue duale Paare zum Vorschein kommen, die sich in entgegengesetzte Richtungen polarisieren. Die warme Oberflächenströmung der Ozeane und die kalte Unterströmung, die jeweils in entgegengesetzten Richtungen verlaufen, bilden zusammen den zentralen Teil eines ozeanischen Kreislaufs. Es wird auch angenommen, dass zwei Elektronen, innerhalb eines Atoms, deren Umlaufbahn nebeneinander liegt, sich in gegensätzliche Richtungen bewegen.

Gemäß der thanthrischen Version der Genesis, polarisiert sich am Anfang der Schöpfung die Singularität, die Bindhu genannt und durch einen Punkt repräsentiert wird, und dehnt sich zu einer Achse aus. Diese Ausdehnung entspricht dem Prabhavam oder Urknall (wörtlich: Beginnendes Fließen, Ausfließen oder Divergenz) und kann als eine lineare Expansion des Absoluten verstanden werden. In den Begriffen der Samkhya-Philosophie ist es Mahath, das sich ausdehnende große kollektive Bewusstsein. Alle Explosionen besitzen zu Beginn eine lineare Kraftentfaltung, die dann im weiteren Verlauf immer mehr der Krümmung unterliegt. Und da alle Aktionen von Reaktionen gefolgt werden, so folgt auf die Divergenz (Ausdehnung) von Prabhavam, die Schwerkraft, Shakthi, als eine passive Reaktion mit einem gekrümmten Charakter und einem Krümmungseffekt. Diese Polarisation lässt ein Energiefeld um sich herum entstehen, vergleichbar mit dem Magnetfeld der Erde, welches nichtlinear ist, indirekt aber auch eine Linearität aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Achse aufrechterhält. Umgekehrt kann aber auch von der Linearität gesagt werden, dass diese indirekt auch eine Nichtlinearität in sich trägt. Die lineare Achse ist vertikal und das Feld Naadam, welches um sie herum durch Vibration erzeugt wird, breitet sich in der Horizontalität aus. Anders ausgedrückt, besitzt Bindhu keine Dimension. Durch die vertikale Achse (Y) entsteht die erste Dimension. Durch Agni werden die nächsten beiden Dimensionen hervorgerufen, die in der Mathematik mit der X- und Z-Achse dargestellt werden, wenn man von einer exakt horizontalen Ebene in der Mitte ausgeht. Im Hinblick auf die dynamische Interaktion der Dualitäten, kann das gesamte dreidimensionale Feld, als ein Bereich betrachtet werden, der durch die Dualitäten geschaffen wird, die ihre vertikale Interaktion auf die horizontale Ebene ausweiten. Im Keimen eines Samenkorns können wir diesen Prozesses in vereinfachter Form beobachten. Aus der Singularität eines Samenkorns oder genauer gesagt, eines Zygoten, sprießen der Hauptstamm und die Wurzel hervor, die zusammen die Achse bilden. Und ausgehend von dieser Achse wachsen wiederum Blätter und Zweige und erstrecken sich in die horizontale Ebene hinein. Alle Teile an der Pflanze und alles, was sie während ihrer geamten Lebensdauer durch Wachstum hervorbringt und aufrechterhält, basiert somit auf dieser vertikalen Achse.

Wenn man Agni als das dritte Prinzip hinzukommend berücksichtigt, welches aus den primären Dualitäten hervorgeht, so ist damit die Grundvoraussetzung für die Entstehung und Aufrechterhaltung des dreidimensionalen Raumes geschaffen. Sowohl das Konzept über die Mahaagunas, die großen Grundprinzipien des Universums, Sathwam, Rajas und Thamas, als auch die Thridosha-Lehre des Ayurveda mit Vaatha, Pitha und Kapha, wurden aus diesem Grundkonzept des Dualismus heraus entwickelt. Die absolute Form der Ganzheit kommt in der Kugelform zum Ausdruck. Die Interaktion zwischen den beiden Polen beschreibt ihrer Natur nach zwei duale Spiralen, die aus einem nichtdualen kugelförmigen Gleichgewicht heraus entstehen. Eine dieser Spiralen ist nach oben gerichtet und weist eine Drehung entgegen dem Uhrzeigersinn auf und die andere nach unten mit einer Drehung im Uhrzeigersinn. So gesehen, erlangt eine statische, nichtduale Kugel durch Polarisation eine Dynamik und teilt sich in zwei duale Spiralen auf. In der ersten Stufe der Polarisation wird eine ovale Form ausgebildet. Ein Ei ist eine polarisierte Kugel, bei der sich zwei Pole herausgebildet haben. Es weist eine leichte Abweichung von dem absoluten Gleichgewicht durch den weitgehenden Verlust der Symetrie auf. Dies ist der Grund, warum das Ei als Modell für das Universum auf der Stufe seiner beginnenden Manifestation verwendet wird, als das sog. Kosmische Ei. In der früheren indischen Literatur und Dichtung werden Mann und Frau mit einem Baum und einer Kletterpflanze verglichen, die sich um den Baum windet. Dies beschreibt eine einfach Form des Dualismus, bei dem der Baum die lineare Achse darstellt, die dem männlichen Prinzip entspricht. Die Pflanze, die sich um den Stamm herumwindet, steht für die Nichtlinearität und entspricht dem weiblichen Partner. Die gleiche Vorstellung drückt sich in den früheren Symbolen für die Medizin aus, wie z. B. in dem Aeskulabstab, einem senkrecht stehenden Stab, um den sich eine Schlange herumwindet. Eine aufrechte Haltung, die in exakter Ausrichtung mit der vertikalen Achse steht, ist ein ausschlaggebender Faktor für das gute Aussehen eines Mannes, während die Schönheit der Frau in physischer Hinsischt sehr stark von den vollkommenen, harmonisch geformten Rundungen abhängig ist.

Die Spiralen in der Horizontalität entwickeln sich aus der vertikalen Interaktion der Dualitäten, gerade so wie aus den zentripetalen und zentrifugalen Kräften die Kreisbewegung resultiert. Dies ist das grundlegendste Muster der Genesis, welches als Modell für das Konzept über die fünf Elemente und die fünf Praanas dient. Die von unten nach oben fließende Kraft ist Aakaasam (Himmel) und die von oben nach unten gerichtete, Bhoomi (Erde). Die aus diesen beiden Kräften resultierende horizontale Dynamik in der Mitte ist Agni (Feuer), welche eigentlich die horizontale Version dieser Interaktion darstellt. Die nach oben gerichtete Spirale wird durch das Element Vaayu (Luft) gebildet und die nach unten gehende Spirale durch das Element Jalam (Wasser). Die eine und absolute Kraft ist diejenige Energie, die aus Prabhavam, dem Urknall divergierte und der Urenergie entspricht. Von verschiedenen Aspekten aus betrachtet, ist dies selbst Purusha oder Bewusstsein, welches sich in alle Richtungen ausgebreitet hat und dabei verschiedene Krümmungsgrade, Eigenschaften, Formen und Namen angenommen hat. Die Schwerkraft stellt die entsprechende Gegenreaktion hierzu dar.

In der Yoga-Philosophie erscheint die vertikale Achse als die Sushumna Naadi, welche durch die Wirbelsäule hindurch verläuft und von den beiden Naadis (Energiekanälen), Ida und Pingala, umschlungen wird. Diese Achse ist in einen Nordpol und einen Südpol aufgeteilt, wobei der Norpol den männlichen und der Südpol den weiblichen Aspekt repräsentiert. Innerhalb dieser Achse stehen die Dualitäten in einer vertikalen Wechselwirkung zueinander, die eine Oszillation zwischen oben und unten hervorruft. Eine solche duale Wechselwirkung ist auch auf der horizontalen Ebene zu finden und besteht in wechselweisen Drehungen im und entgegen dem Uhrzeigersinn. Diese erzeugen zusammen einen Quirleffekt, aus dem sich zwei duale Spiralen, Ida und Pingala, um die vertikale Achse herum formen. In Bezug auf den menschlichen Körperbau entspricht diese Achse der Wirbelsäule, die sich zum Skelett erweitert und verzweigt, so wie sich der Hauptstamm eines Baumes erweitert, indem er Äste und Zweige ausbildet. Der Bindhu kann sich nicht zu einer Achse ausdehnen, ohne dabei auch das horizontale Feld zu erzeugen. Ebenso kann dieses horizontale Feld auch nicht ohne die Achse entstehen. Beide stehen in einer engen Beziehung und Wechselwirkung zueinander.

 

Übersetzt von Christine Hein

© Alle Rechte vorbehalten

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Dr. Sajan Kumar Somarajan
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E- Mail: vedayurkerala@gmail.com
Web: www.ayurvaidya.de

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