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Diabetes mellitus, Madhumeha, aus āyurvedischer Sicht

21.06.2010 | von Dr. Kalyani ChopraIn Deutschland leiden rund 8 Mill., in Indien bereits über 30 Mill. und weltweit weit über 200 Millionen Menschen unter dieser nahezu epidemischen Zivilisationkrankheit. Als einer der Hauptursachen für die in mehrere Typen eingeteilte Stoffwechselkrankheit Diabetes mellitus gilt Übergewicht.

Eine direkte Übersetzung des Begriffs Diabetes mellitus in āyurvedische Terminologie gibt es nicht. Jedoch werden in den klassischen āyurvedischen Texten 20 Arten von Prameha (Vorstufe zu Madhumeha) beschrieben. Die Symptome, welche alle Arten von Prameha gemein haben, sind vermehrte Menge und Trübung des Urins. Dies ist schulmedizinisch gesehen häufig das erste Symptom vom Diabetes mellitus. Alle Prameha Arten werden nach einiger Zeit zu Madhumeha. Alle Arten, bei denen der Urin süß wie Honig ist und auch der Körper süß wird, werden Madhumeha genannt. Daher lässt sich die āyurvedische Erkrankung Madhumeha mit der schulmedizinischen Diagnose Diabetes mellitus vergleichen.

Um die āyurvedische Sichtweise besser zu verstehen, müssen zunächst einige Begriffe geklärt werden:
Doşa: krankmachender Faktor. Bio-Energien, welche in jedem Menschen vorhanden sind und Krankheiten auslösen können.
Vāta-Doşa: Windenergie, welche zu vermehrter Beweglichkeit, Wechselhaftigkeit, Trockenheit, Kälte führt.
Pitta-Doşa: Feuerenergie, welche zu vermehrter Hitze, Säure, Rötung führt.
Kapha- Doşa: Erd- und Wasserenergie, welche zu vermehrter Masse, Trägheit, Schleimigkeit, Süße führt.

Die 20 verschiedenen Arten von Prameha werden den verschiedenen Doşas zugeordnet, wobei die meisten auf Kapha Störungen begründet sind. Die 10 Kapha Arten von Prameha sind heilbar, da die betroffenen Gewebe (wässrig) und das Doşas (Kapha = wässrig) von ähnlicher Qualität sind. So kann die Therapie stark gegen beide ausgerichtet werden.
Die 6 Pitta Arten von Prameha sind kontrollierbar, bleiben aber lebenslänglich bestehen, weil hier die Gewebe und das auslösende Doşa von unterschiedlicher Qualität sind.
Die 4 Vāta Arten von Prameha sind unheilbar durch das Risiko von schwerwiegenden Komplikationen auf Grund untergehender Gewebe.

Schulmedizinisch werden nicht 20 verschiedene Sorten des Diabetes mellitus unterschieden, im Āyurveda werden feinere Abstufungen gesehen und das Krankheitsbild weiter gefasst. Der juvenile insulinabhängige Diabetes mellitus Typ I ist sicher eher eine Vāta Art von Prameha. Der Diabetes mellitus Typ II gehört wahrscheinlich eher zu den Kapha Arten. Prinzipiell wird Madhumeha jedoch als Vāta Störung gesehen.

Hauptursachen für die Entstehung von Madhumeha sind Nahrungsmittel, Getränke und Aktivitäten, welche medas (das Fettgewebe), mūtra (Urin) und Kapha erhöhen. Z. B. süße, saure, salzige, fettige, schwer verdauliche, schleimige und kalte Nahrungsmittel, frische Getreide, Bier, übermäßig viel Joghurt und Buttermilch, Fleisch von Haustieren, Fleisch von Tieren, welche in sumpfigen Gebieten leben, Zuckerrohrsaft, Melasse, Fische, Milch und Milchprodukte, Süßigkeiten. Zusätzliche Ursachen sind sitzende Tätigkeiten und Schlafen in schlechter Haltung und zum falschen Zeitpunkt. Genetische Faktoren, Übergewicht, Bewegungsmangel, häufige Schwangerschaften, Infektionen, Emotionen und Stress.

Therapie

Zuträgliche Nahrungsmittel:

 

  • alle bitteren und zusammenziehenden Lebensmittel,
  • Gerste,
  • alle Bohnensorten außer Soja und Urad Dal,
  • Bockshornklee, alle Gewürze, besonders Curcuma und Schwarzkümmel
  • Zucchini, weißer Kürbis, bitterer Kürbis (Momordica charantia)
  • Knoblauch, Zwiebeln
  • Gurken
  • Kraut, Gemüsepaprika, grünblättrige Gemüse (z. B. Spinat)
  • Mandeln


Zu vermeidende Nahrungsmittel:

  • kalte, ölige, süße und feuchte Substanzen
  • Milchprodukte
  • Fleisch von Meeres- und Sumpftieren
  • Frisch geerntetes Getreide
  • Zuckerzusammensetzungen
  • Kartoffeln
  • Früchte


Zuträgliche Aktivitäten:

  • regelmäßige Bewegung, Laufen, Yoga
  • Prāņāyama (Atemübungen aus dem Yoga)
  • Meditation


Zu vermeidende Aktivitäten:

  • übermäßiges Sitzen
  • übermäßiger Schlaf (besonders tagsüber)
  • Bewegungsmangel

Grundsätzlich ist eine āyurvedische Pancakarma Reinigungskur die intensivste āyurvedische Therapie bei Madhumeha. Sie sollte jedoch nur nach Abwägung der Kontraindiaktionen durchgeführt werden. Der Körper wird dabei von allen  überschüssigen Doşas gereinigt, z. B. durch Abführen und Einläufe. Wichtig sind bei Madhumeha aber unbedingt begleitende Behandlungen, wie Stirngüsse mit Buttermilch-Kräuter-Abkochungen (siehe Fallbeispiel).

Die āyurvedische Therapie sollte immer mit der schulmedizinischen Therapie abgestimmt sein.

Ein āyurvedisches Medikament sollte besondere Erwähnung finden:


Karela, Mormordica charantia

Eigentlich ein Gemüse, die Bittermelone, Balsambirne oder auch Bittergurke. Sie gehört zur Familie der Kürbisgewächse (Curcurbitaceae) und ist mit der Wassermelone verwandt. Ursprünglich ist sie in China und Indien beheimatet, jetzt trifft man sie auch in Südamerika (Brasilien), USA, Afrika und Europa an.
Die Inhaltsstoffe sind Kalzium, Karotin, Riboflavin, Vitamin C, Proteine, Mineralstoffe, Kohlenhydrate, wenig Fett, Phytosterolin, Charantin, Momordin.
Es konnte ein Polypeptid isoliert werden, welches eine hohe Homologie mit Insulin hat, aber immunologisch nicht kreuzreaktiv ist.
Karela hat eine blutzuckersenkende Wirkung. Im Tierversuch sorgt Karela für die Regeneration der Beta-Inselzellen und eine Senkung des HbA1c Wertes.
Nebenwirkungen bei Gebrauch im Übermaß sind Durchfall und Magenschmerzen. Als Gegengift hilft Reis mit Ghee (geklärte Butter, reines Butterfett).

Studie (Zeitschrift Phytotherapie, 2003; 24: 163-169): 500 mg Mormodica charantia Extract täglich vor zwei größeren Mahlzeiten wurde 6 Monate 41 Diabetikern gegeben, dies konnte den Blutzuckerspiegel um bis zu 25% senken. Auch der HbA1c senkte sich durchschnittlich um 0,5 Prozentpunkte. Dies bedeutet eine Risikosenkung für Diabetesspätfolgen.

Da die Bittergurke, wie der Name bereits vermuten lässt, sehr bitter ist, gibt es zum Glück Fertigpräparate: z. B. Glukokine Kapseln, Salus Momordica Diabetiker Tabletten, Duo Vital Momordica Diabetiker Tabletten.


Fallbeispiel:
Eine 56 jährige Patientin mit nicht-insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ II, welcher seit 7 Jahren bekannt ist. Der Nüchtern-Blutzucker schwankt zwischen 200 und 300 mg/dl. Bei Diät sinkt er auch auf 140 mg/dl. Leider hält die Patientin keine Diät ein, da sie süchtig nach Essen ist, wie sie selbst schildert. Sie lehnt jede rationale Therapie ab und möchte den Diabetes über einen geistigen Ansatz heilen. Allerdings fühlt sie auch seit 7 Jahren eine chronische Müdigkeit und sieht sich daher nicht in der Lage ein konsequentes Leben zu führen, in dem eine Struktur erkennbar ist und Bewegung einen Platz hat.

Zusätzlich leidet sie an einem Bluthochdruck (160/90 mmHg). Seit drei Jahren tritt eine zunehmende Sphinkterschwäche (Schließmuskelschwäche) mit Stuhlinkontinenz auf und auch Missempfindungen in den Beinen. Beides sind schon als Folgeschäden des Diabetes bekannt. Die Patientin erträgt viele Symptome, man könnte auch sagen, sie ignoriert sie.
Sie hat vier Kinder, lebt seit 16 Jahren von ihrem Mann getrennt, ist ängstlich, unzufrieden und hat depressive Phasen.

Āyurvedisch gesehen hat sie eine Vāta Pitta Konstitution und eine Vāta Störung, welche unbehandelt zu einer Störung aller drei Doşas geführt hat.
Sie kommt zu einer 14 tägigen āyurvedischen Reinigungskur. Zunächst bekommt sie für drei Tage morgens Ghee (geklärte Butter) in ansteigender Dosierung anstatt des Frühstücks, um die Doşas in ihrem Körper zu moblisieren. An den selben Tagen erhält sie Buttermilch- Kräuterabkochung-Stirngüsse mit ansteigender Zeitdauer. Mittags und abends gibt es eine Suppe. Schon alleine durch diese Anwendungen und das Auslassen der täglichen Kuchenstückchen sinkt bei ihr der Blutzucker auf 110 mg/dl. Während der gesamten Kur wird eine strenge Diät eingehalten mit hauptsächlich gekochter, leicht verdaulicher und zuckerarmer Kost. Am 4. Tag erhält die Patientin eine Ganzkörpermassage mit Zimtöl und anschließendem Dampfbad, am 5. Tag wird abgeführt. Am 6. Tag hat sich der Blutdruck bei 130/80 mmHg eingestellt. Es gibt wieder eine Ganzkörpermassage mit Zimtöl und anschließendem Dampfbad. An den folgenden Tagen werden die Stirngüsse fortgesetzt. Gleichzeitig werden Einläufe verabreicht, immer im Wechsel ölige und wässrige Kräuterabkochungen. Die Einläufe sind aufgrund der Sphinkterschwäche problematisch, sie können schlecht gehalten werden, bzw. es kann nicht die komplette Menge gegeben werden. Dennoch geht es der Patientin sehr gut, sie gewöhnt sich an ein diszipliniertes Essverhalten und beginnt mit Yoga Übungen zur Stärung der Beckenbodenmuskulatur.

Am Ende der Kur liegt der Nüchternblutzucker bei 100 mg/dl und der Blutdruck bei 130/80 mmHg. Mit dieser Kur wurde jedoch lediglich ein Anfang gemacht, die Patientin muss zu Hause eine disziplinierte Ernährung fortsetzen. Zusätzlich sollte sie Glukokine Tabletten in Abhängigkeit ihres Blutzuckerwertes einnehmen. Zur weiteren sanften Reinigung sollte sie täglich einen Liter Ingwerwasser vormittags trinken. In regelmäßigen Abständen sollten Stringüsse gegeben werden. Die gesamte Kur sollte in einem Jahr wiederholt werden. Insgesamt ist eine regelmäßige Lebensführung empfehlenswert, welche Vāta reduzierend wirkt und eine disziplnierte Ernährung erleichtern wird. Zimt, Bockshornklee und Curcuma sollten häufig verwendet werden. Vor allem muss die Patientin erkennen, dass es sich um eine ernstzunehmende Erkrankung handelt, welche bei ihr schon zu unheilbaren Spätschäden geführt hat.

So ist auch āyurvedisch ein Diabetes mellitus/Madhumeha nicht unbedingt heilbar, aber eventuell kontrollierbar. Wichtig ist der frühzeitige Beginn der Behandlung, um Spätschäden zu vermeiden.

Frau Dr. Kalyani Chopra

Kalyani.200x

Ayurveda Praxis
Dr. med. Kalyani Nagersheth
Gutzkowstr. 20
60594 Frankfurt am Main

www.ayurveda-ffm.de

 

 

 


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