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Die Verdauung, ein zentrales Thema im Āyurveda

11.01.2010 | Von Dr. Kalyani Nagersheth Die Verdauung stellt im Āyurveda ein zentrales Thema dar, wobei die āyurvedische Betrachtungsweise der Verdauung abweicht von der allopathischen Verdauungsphysiologie.

Es werden keine Enzyme oder einzelnen Organe untersucht, sondern das Zusammenspiel der Doşas (Bioenergien) mit Agni (dem Verdauungsfeuer) und der Entstehung gesunder Gewebe (Dhātus).
Der Zustand der Verdauung wird immer am Anfang untersucht und reguliert. Egal, welche Erkrankung oder Beschwerden vorliegen, muss im Āyurveda zunächst die Funktion der Verdauung analysiert werden. Häufig bessern sich viele Beschwerden automatisch, wenn die Verdauung optimiert wird. Im Āyurveda sollte die Ursache einer Erkrankung behandelt werden, nicht das Symptom. In vielen Fällen stellen Verdauungsprobleme die Ursache für diverse Erkrankungen dar.

Agni
Die Verdauung wiederum ist vom Agni, dem Verdauungsfeuer abhängig. Das Verdauungsfeuer ist für die Aufspaltung der Nahrung zuständig. Es sitzt in verschiedenen Abschnitten des Verdauungstrakts, spaltet die Nahrung in die einzelnen Elemente auf und führt diese der weiteren Verwertung zu. Das Verdauungsfeuer setzt sich aus vielen einzelnen Feuern zusammen.

Die Bhūtāgnis (Elementefeuer) spalten die Nahrung in die einzelnen Elemente auf und rufen dadurch auch wieder die Tanmatras (5 feinstofflichen Wahrnehmungen) hervor. Die einzelnen Elemente werden durch die Dhātvāgnis (Gewebefeuer) in die jeweiligen Gewebematerialien verstoffwechselt.

Das wichtigste ist jedoch das Jātharāgni (Königsfeuer), welches im oberen Dünndarm lokalisiert ist und aus der Nahrung einen Nahrungsbrei herstellt, welcher weiter verarbeitet werden kann. Das Jātharāgni ist die Grundlage des Lebens und kontrolliert die anderen Agnis.
Wird dieses Jātharāgni gelöscht, bedeutet das den Tod; wird es beeinträchtigt, führt es zu Krankheiten (Caraka Samhita, XV, 3-4).

Die verschiedenen Zustände des Agnis
Es gibt drei krankhafte Zustände des Agnis
manda agni: zu schwaches Verdauungsfeuer
vishama agni: wechselndes  (schwankendes) Verdauungsfeuer
tikshna agni: scharfes (zu starkes) Verdauungsfeuer

Schwaches Verdauungsfeuer
Das schwache Agni herrscht meist bei Kapha vor und führt zu Verstopfung. Die Nahrung bleibt kalt, wird nicht aufgespalten und kann nicht verdaut werden. Kapha ist das Doşa (Bioenergie) der Stabilität, aber auch der Trägheit. Damit ist auch das dazugehörige Agni zu träge zum arbeiten. Agni kann aber auch durch zuviel Nahrung oder zu häufige Nahrungsaufnahme geschwächt werden. Wenn Magen und Darm ständig voll sind, die letzte Nahrung noch nicht verdaut ist, wird Agni erstickt. Ein Lagerfeuer braucht auch Platz und Luft, um zu brennen.

Wechselndes Verdauungsfeuer
Das wechselnde Agni herrscht bei Vāta vor und führt zu unregelmäßiger (wechselnder) Verdauung. Vāta ist das Prinzip der Beweglichkeit und kann auch als Wind übersetzt weden. Wind hat keinen Halt, keine Beständigkeit. Der Mensch schwankt ständig zwischen Verstopfung und Durchfall, genauso aber auch zwischen Heißhungerattacken und Essen-vergessen hin und her. Durch etwas Wind wird Feuer angefacht, durch zuviel Wind ausgeblasen.

Zu starkes Verdauungsfeuer
Das scharfe Agni herrscht bei Pitta vor und führt zu Durchfällen. Die Nahrung wird geradezu verbrannt und dadurch verflüssigt. Pitta selbst beinhaltet das Prinzip Feuer. Zuviel Feuer verbrennt die Nahrung zu schnell. Es können keine Nährstoffe mehr verwertet werden.

Bei Vāta herrschen Schmerzen und Blähungen vor, bei Pitta Brennen und evtl. Fieber, bei Kapha Übelkeit, Erbrechen und Schwere im Magen.

In sämtlichen Fällen können die Nährstoffe nicht optimal verarbeitet werden und gehen verloren. Dadurch wird der Gewebeaufbau beeinträchtigt. Die Gewebe entstehen nach āyurvedischer Sichtweise nachfolgend auseinander. Das Ausgangsmaterial bildet die Nahrung. Wenn also auf der ersten Stufe der Nahrungsverwertung schon eine Fehlfunktion vorliegt, werden sämtliche nachfolgenden Gewebe betroffen.

Āma
Die halbverdaute Nahrung führt außerdem zur Bildung von Āma, das sich im ganzen Körper absetzen und zu weiteren Erkrankungen führen kann. Āma ist etwas halbverdautes, unfertiges, hat seinen Endzustand noch nicht erreicht. Āma ist z. B. Nahrung, welche auf halber Strecke liegen geblieben ist und vor sich hin gärt.

Āma ist feucht, kalt, schwer, klebrig und läßt sich evtl. mit dem Begriff „Schlackenstoffe“ übersetzen. Ist Āma im Körper vorhanden, fühlt sich der ganze Mensch feucht, kalt, schwer, klebrig. Das kann sich als verschleimende Erkältung äußern, aber auch als rheumatische Gelenksbeschwerden. Die Ursache für die Entstehung von Āma und damit verbundene Erkrankungen liegt immer in einem gestörten Agni und damit bei der Verdauung!


Therapie
Bei jeglicher Verdauungsstörung muss das entsprechende Doşa (Bioenergien: Vāta, Pitta, Kapha) behandelt werden und Agni reguliert werden. Welches Doşa betroffen ist, erkennt man an der Art der Verdauungsstörung in Kombination mit dazugehörigen Allgemeinsymptomen.  Den Zustand des Agni kann man am Puls ertasten. Er zeigt sich aber auch durch den Appetit, den Stuhlgang und das Vorhandensein von Āma (Halbverdautem).
Um Agni zu regulieren, kann man es zunächst wieder auf einen Nullpunkt bringen. Dies erreicht man am einfachsten durch Fasten (ca. 3 Tage), evtl. in Kombination mit Abführen. Dann kann Agni wieder angefacht werden, z.B. durch scharfe Kräuter. Generell sind kleine Mahlzeiten, gründliches Kauen, Ingwertee und Atemübungen gut, um Agni anzufachen. Die Therapie sollte individuell auf Konstitution und Erkrankung abgestimmt werden. Vor dem Abführen sollte ein āyurvedischer Arzt konsultiert werden.
Um Āma zu entfernen, sollten Āma vermehrende Nahrungsmittel vermieden werden, z. B. Brot, Milch, Milchprodukte (insbesondere Joghurt), Salat, Süßigkeiten. Die Nahrung sollte leicht verdaulich, warm, gekocht, regelmäßig und gut gewürzt sein.

Fasten
Ein Mensch mit viel Vāta in der Konstitution oder Erkrankung sollte möglichst nicht fasten (wird sonst vom Winde verweht!), kann aber scharfe Kräuter (Ingwer, Pfeffer usw.) bekommen, solange Āma vorhanden ist. Sobald das Agni wieder reguliert ist, müssen diese jedoch sofort abgesetzt werden, weil die scharfe Geschmacksrichtung austrocknend wirkt und dadurch Vāta erhöhen kann.
Bei Pitta sollte nur sehr vorsichtig gefastet werden, weil der Patient sehr leicht aggressiv werden kann. Hier wird am besten mit Ingwerwasser gearbeitet, weil frischer Ingwer zwar scharf, aber gleichzeitig auch süß ist und somit für Pitta zuträglich ist. Ansonsten sind bittere Kräuter (alle grünen Kräuter) zu empfehlen, da sie sowohl Pitta reduzieren als auch Agni anregen.
Kapha kann wunderbar fasten (möchte nicht so gerne, sollte aber) und auch viele scharfe Kräuter bekommen. Wenn viel Kapha in der Konstitution vorhanden ist, kann grundsätzlich ein Fastentag pro Woche eingelegt werden, um Āma vorzubeugen. Da Kapha und Āma von den Eigenschaften her ähnlich sind (feucht, kalt, schwer), neigt ein Mensch mit viel Kapha auch zur Bildung von Āma.


Agni, Gott des Feuers

Agni war zu vedischen Zeiten nach Indra der zweitwichtigste Gott im hinduistischen Götterreich. Es wird eine kleine Anekdote zu Agni erzählt: Die beiden Helden Gott Kŗşņa und Arjuna wollen ein neues Königreich gründen. Aber auf dem ihnen zugewiesenen Ort steht ein großer Wald. Als sie diesen besichtigen, treffen sie auf Agni, den Gott des Feuers. Ihm geht es gerade gar nicht gut. Er hat zuviel Ghee (geklärte Butter) gegessen, welches ihm bei einem Feueropfer geopfert wurde. Nun möchte er gegen die Verdauungsstörung gerne den Wald aufessen (verbrennen), da dort so viele medizinische Heilkräuter wachsen. Aber dieser Wald gehört eigentlich Gott Indra, dem König der Götterwelt und Beherrscher des Wetters. Immer, wenn Agni etwas am Wald züngelt, löscht Indra das Feuer sofort durch Wind oder Regen. Arjuna und Kŗşņa beschließen, Agni zu helfen. Arjuna ist bekanntermaßen der beste Bogenschütze im ganzen Reich. Agni schenkt ihm den Zauberbogen Gāndiva von Gott Varuna, den kein anderer Sterblicher hätte spannen können und zwei ewig gefüllte Köcher mit Pfelen. Kŗşņa erhält eine Kutsche mit fliegenden Pferden davor gespannt. Während Agni nun den Wald aufisst, leitet Kŗşņa diese Kutsche blitzschnell ständig im Kreis um den Wald herum und Arjuna schießt aus der Kutsche ein Meer an Pfeilen zeltförmig über den Wald. Indra kann mit seinem Regen nicht durch dieses Pfeildach hindurchdringen und muss machtlos zuschauen, wie Agni den gesamten Wald verspeist.
Die Feuersbrunst dauert 15 Tage. Agni verspeist sämtliche Heilkräuter und Lebewesen des Waldes. Lediglich ein Dämon namens Maya (der Schein), kann sich durch Arjunas Hilfe retten. Dieser Dämon ist auch als großer Baumeister bekannt.
Genau in diesem Gebiet entsteht die spätere Hauptstadt des neuen Königreiches und wird Indra zu Ehren Indraprastha genannt. Maya, der Baumeister, baut aus Dankbarkeit die schönste Versammlungshalle, die die Welt je gesehen hat. Die Stadt gibt es heute noch, sie heißt jetzt Delhi. Und zum Glück können wir auch heute noch Verdauungsstörungen gut durch Heilkräuter behandeln.

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Ayurveda Praxis
Dr. med. Kalyani Nagersheth
Gutzkowstr. 20
60594 Frankfurt am Main

www.ayurveda-ffm.de

 

 


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